Am Ende treffen der vor der Oktober-Revolution geflüchtete russische Chirurg und die blutjunge Krankenschwester Ivka, Tochter eines österreichisch-ungarischen Gendarmen und Patriarchen, im Zagreber Spital der Barmherzigen Schwestern einander doch. „Dass er Chirurg ist und dass er Ivka geholfen hat voranzukommen, könnte ihren Eltern und Geschwistern in jedem Fall imponieren, aber dass er einem Volk angehört, das Christus gekreuzigt hat, verschlimmerte die Sache sehr.“
Obwohl: Am Ende stimmt nicht. Die Geschichte von Dr. Benjamin Bernstein, der eine der sechs Geschwister aus dem wohlbehütenden Haus Benceković zu seiner OP-Assistentin und dann zu seiner Frau macht, steht am Beginn der sehr persönlichen Familiengeschichte, die der kroatische Erfolgsautor Zoran Ferić in seinem fast 500-seitigen Roman „Die Wanderbühne“ erzählt. Sie ist eine von vielen Geschichten und endet mit der Geburt von Vera – der Mutter des Autors –, die Ivka nur wenige Tage überlebt. Sie stirbt an Tuberkulose, wie so viele in den 1920er-Jahren.
Der Chirurg, der seine Tochter in der Obhut der Großeltern belässt, wird viel später, 1942, wegen Fluchtversuchs aus einem Lager mit anderen „kommunistischen Agitatoren und Juden“ standrechtlich umgebracht.
Das ist der zweite Strang der „Wanderbühne“: Da die behutsam erzählten und weit verzweigten Geschichten der Eltern- und Großelterngeneration des Autors, die schillernden Typen – sie fesseln mit dicht und detailliert gemalten Bildern, mit feiner Ironie und sprühendem Witz (herrlich die Umschreibung, wenn Paare zum „Wesentlichen“ schreiten, „in jener Zeit in den Schlafzimmern, im Dunkeln und unter der Bettdecke“, oder doch „auf jenem mit Musselin überzogenen Diwan mit den Löwenköpfen an den Armlehnen“ und „gelegentlich des Wesentlichen nicht mehr aufgepasst haben“). Aber zwischendurch, der Zeit geschuldet, in der die Geschichten und die Geschichte in Ex-Jugoslawien und anderswo stattfinden, bleibt einem beim Lesen das Schmunzeln im Hals stecken. Ob der Realität, die Ferić dem Leser wie aus dem Handgelenk hinschleudert. Ehe er wieder eintauchen lässt in eine wunderbare Familiensaga.