Wie soll man sich wehren? Wie Marie Marcks zum Beispiel
Erste Zeichnung: Ein alter Mann und eine junge Frau stehen vor dem Standesbeamten, der lächelt: „Und nun darf ich Sie zu Ihrer reizenden jungen Frau beglückwünschen!“
Zweite Zeichnung: Ein junger Mann und eine alte Frau stehen vor dem Standesbeamten, der entsetzt schaut: „Ich meine – ich traue Sie gerne, aber haben Sie sich das auch gründlich überlegt, Herr Meier?“
In Ordnung
Bei Marie Marcks war der Text genauso wichtig wie die Zeichnung. Acht Jahre nach ihrem Tod hat sie von ihrer Freundin, der Verlegerin Antje Kunstmann, ein Denkmal gesetzt bekommen:
Zwei Bände im Schuber, zum einen eine Sammlung berühmter Bilder. Erklärende Fußnoten zu alten politischen Karikaturen wären fein gewesen.
Zum anderen ihre Buntstift-Autobiografie „Marie, es brennt“ ... Tagebuch 2.8. 40 (sie war 18): „Wir dürfen für die Krone der Schöpfung alles in Ordnung halten, kochen und mit junger Liebe die nötige Entspannung schaffen – wir sind nur Mittel zum Zweck. Scheiße nochmal!“
F.W. Bernstein, auch schon tot, konnte die Klischees nicht mehr hören: Karikaturisten spießen mit spitzer Feder die Missstände auf, streuen Salz in die Wunde usw.
Nein, sie sind Detektive, Anwälte, Richter und Strafvollzugsbeamte in einer Person. Auf dem Papier. Allmächtig auf dem Papier.
Bernstein weiter: „In fünf Sekunden muss der Leser mitkriegen, was Sache ist und wie das Urteil lautet.“
Er hielt Marie Marcks für die Alt- und Großmeisterin „unserer Innung“.
Die Welt wollte sie verändern. Wehren wollte sie sich. Wie wehren? So wehren. Gegen Neonazis, Atomwaffen, Umweltsünder, gegen Ausbeuter ... und die Politik kommentieren ... und für Emanzipation kämpfen, noch bevor Alice Schwarzer 1977 ihre „Emma“ gründete (zu der Marie Marcks keinen Draht fand).
In Deutschland weiß man, dass die Berlinerin die Basis für mehr Frauenrechte legte. Marie Marcks hat sehr wohl die Welt ein bisschen gestaltet. In Österreich blieb ihr Einsatz wenig bekannt.
Und auch um Familie und Erziehung geht es in ihren Tausenden Zeichnungen. Bei fünf Kindern hatte sie die Praxis daheim.
Tochter: „Krieg ich Geld?“ – „Wieso?“– „Wieso denn wieder nicht?“
Marie Marcks im Interview: „Gezeichnet wirkt das dann komisch, für die Agierenden war es eine ganz ernste Auseinandersetzung. Meine Geschichten sind im Kern alle wahr – auch wenn ich sie weiterfabuliert habe.“
Mutter gibt Sohn einen Geldschein:
„Sei bitte diesmal etwas sparsamer.“ Er nimmt das Geld, die Zigarette in der linken Hand: „Spar du dir lieber deine Ermahnungen. Ich bin erwachsen!“
„Die große
Marie Marcks“
Zweibändige Werkausgabe.
Mit Texten von Antje Kunstmann und F.W. Bernstein.
Kunstmann Verlag. 448 Seiten.
59,60 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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