Roberto Bolaño und sein allererster Roman

Wenn stimmt, dass vor allem jene Bücher in den Lesern Spuren hinterlassen, die nicht zur Gänze zu verstehen sind – dann merkt man sich vom Chilenen Roberto Bolaño (der 2003, nur 50 Jahre alt, vergeblich auf die Lebertransplantation wartend, in Barcelona starb) eine kleine Bibliothek.
Das war auch sein erklärtes Ziel: ein Platz im Gedächtnis der Menschheit.
Im allerersten veröffentlichten Roman, jetzt zum ersten Mal übersetzt, hängen die Handlungsfäden noch nicht so lose aus dem Buch wie in nachfolgenden Werken.
Was aber bereits geschieht, wie später in „Lumpenroman“ und „2666“, das ist: Die Vorstellungskraft beim Lesen wird enorm herausgefordert. Bolaño, der sich als „Clown meiner Leser“ bezeichnete, inspiriert.
Was ein Wunder ist, bei dieser Geschichte ...
Der Chor
Drei Männer in der Stadt Z. bei Barcelona sind vernarrt in eine Sportlerin, die Eiskunstläuferin Nuria. Ein Dichter, ein kleiner Unternehmer und ein korrupter Beamter bilden den Chor der Erzähler.
(Eine Erzählstimme hätte durchaus gereicht.)
Als Nuria nicht mehr mit der Olympiamannschaft trainieren darf, veruntreut einer von ihnen, der widerliche Beamte im Sozialamt, öffentliches Geld.
Damit baut er Nuria in einem verlassenen Palast an der Straße, die nach Y. führt, einen geheimen Eislaufplatz.
Und schaut ihr beim täglichen Üben zu. Und träumt davon, als kleiner, dicker Mann selbst elegante Runden mit Nuria zu drehen.
Sie werden von zwei Frauen beobachtet, einer obdachlosen Opernsängerin und einer jungen Frau, vielleicht ihre Tochter, vielleicht ihre Enkelin. Jedenfalls trägt sie immer ein Küchenmesser unter ihrem T-Shirt. Die beiden wohnen illegal im Zelt eines Campingplatzes.
Roberto Bolaño schrieb „Die Eisbahn“ (1993), während er als Nachwächter auf einem Campingplatz jobbte.
Seine schöne Eiskunstläuferin macht alle Männer eifersüchtig ... und auf dem Eislaufplatz liegt eine Tote.
Ist „Die Eisbahn“ eine Oper? Klingt so, als wäre ohnehin die Musik wichtiger. Tatsächlich wurde daraus 2018 die Oper „The Skating Ring“ des britischen Komponisten David Sawer. Passiert selten: Sie übt viel deutlicher Sozialkritik als der Roman.
Roberto
Bolaño: „Die
Eisbahn“
Übersetzt von Christian Hansen.
S. Fischer.
224 Seiten.
24,95 Euro
KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern
.
Kommentare