Nell Zinks neuer Roman: Das Großartige kann recht langweilig sein

Nell Zinks neuer Roman: Das Großartige kann recht langweilig sein
„Das Hohe Lied“ ist eine Satire, hoffentlich: Leben vor und nach dem 11. September 2011

So einfach ist das nicht.

Wenn Nell Zink - Foto oben - die Hipster im Wandel der Jahrzehnte miteinander vergleicht und über die Hipster der 1980er Jahre mitteilt, sie waren „postsensibel“ bzw. bloß „die kurzlebige Gischtkurve auf der schmutzigen Welle der höheren Bildung der Arbeiterklasse“ ... so darf man, mit Verlaub, sagen: Nicht jetzt, bitte nicht, das Leben ist zurzeit hart genug.

Welcher Rock?

Man wird in seiner Abwehrhaltung noch bestärkt, wenn der Joe seine Sonic-Youth-Plattensammlung auspackt und bedauert, ihm fehle die Single „I killed Christgau with my Big Fucking Dick“.

Worauf sein Freund Daniel einwirft, dass das keine echte Platte ist. Und ergänzt, dass sie dennoch existiert.

Nun schaltet sich Pam, die gemeinsame Freundin, ein und will Musik hören.

Nein, so einfach ist das trotzdem nicht, das Buch ungelesen wegzulegen.

Seit „Der Strandläufer“ (2016) weiß man, wie belesen und klug Nell Zink schreibt, da wird schon noch etwas kommen auf den 500 Seiten – und witzig ist die Kalifornierin sowieso. Sie zog sich nach Bad Belzig in Brandenburg zurück, wo auch Großtrappen Zuflucht gefunden haben.

Ist „Das Hohe Lied“ Satire? Das könnte der Fall sein.

Eine Satire auf amerikanische Lebensplanung vor und nach den Terroranschlägen, 11. September 2011.

Musik und Politik. Punk bis zum Wahlerfolg Trumps.

Allerdings spürt man selten, dass es Satire ist. Das ist ein Problem.

Wenn Joe und Pam und David eine laute Band gründen und es heißt, sie machen Free Dub-Rock Fusion, könnte man noch mit dem Roman in einen spottenden Dialog treten: Math Rock oder Noise Rock? Noch bissl genauer wär’ super.

Bescheidener

Aber danach? Pam und Daniel heiraten, bekommen ein Kind, Joe macht den Babysitter – er leidet übrigens am Williams Syndrom: Überfreundlich ist er und erzählt andauernd Geschichten.

Joe wird überraschend ein berühmter Rockstar. Und stirbt – man möchte sagen: selbstverständlich – an einer Überdosis.

Der Roman wechselt zur nächsten Generation, zu Pam und Daniels Tochter Flora. Während ihre Eltern relativ wirtschaftlich unabhängig leben konnten, ist Flora verletzlicher, ängstlicher, beschwerter. Ihr Karriereziel lautet, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten. Darauf sagt ihre Mutter Pam nur: „Das dafür geeignete Studium wäre ... Weltherrschaft.“

Man merkt’s manchmal ja eh: Nell Zink kann mit einem einzigen Satz alle entwaffnen. Aufblatteln.

Diesmal gelingt es nicht oft. Diesmal kommt beim Lesen die Erkenntnis: Das Großartige kann langweilig sein. Hier hat das große Ganze nichts Bleibendes.

Andere aktuelle Romane mögen „kleiner“ sein, bescheidener im Umgang mit ihrem Stoff. Aber sie wirken. Wirken länger.


Nell Zink:
„Das Hohe Lied“
Übersetzt von
Tobias Schnettler.
Rowohlt Verlag.
512 Seiten.
25,90 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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