Er hat viel Zeit benötigt, um zu begreifen: Man kann nicht Frieden mit dem Geschehenen schließen, ohne auf die Schuldigen zu zeigen. Das darf man nicht. Verharmlosen spielt den Tätern in die Hände.
Haslinger war Spielzeug von Pädophilen. Die Erkenntnis führte zu „Mein Fall“. Das ist ein Buch, das schwierig zu besprechen ist, weil man nach dem Lesen schweigen mag. Lang. Es ist ja nicht nur, dass Haslinger recht deutlich vom Missbrauch berichtet.
Man ist auch mitten in seinem Kopf, seinem – mit Verlaub – verwirrten Kopf: Die Mönche verdammten Homosexualität ... und dann „sowas“?
Verwirrt auch, weil: Das Kloster scheint in den 1960ern, 1970ern extrem gewesen zu sein: Als „Oase der Zärtlichkeit“ hat es Haslinger empfunden (und dafür Kritik eingesteckt) – und der Kontrast: ein brutales Schulsystem mit Ohrfeigen.
Und dann ist da etwas, das den Bericht des mittlerweile 64-jährigen Niederösterreichers noch breiter macht:
Als er seinen Fehler des Verharmlosens und Schönredens einsah, wollte er seinen Fall dokumentiert haben. Von der Opferschutzkommission suchte er sich ein Mitglied aus – Brigitte Bierlein. Monate später wurde sie Bundeskanzlerin.
Bierlein ließ Kaffee auftischen, Haslinger erzählte das Erlebte, ist ja nicht so angenehm, sie machte sich keine Notizen: Es war nämlich erst das VORgespräch.
Nun wurde er an die Kommissionsleiterin Waltraud Klasnic weitergereicht. Haslinger erzählte das Erlebte, ’s wird immer unangenehmer, sie machte sich keine Notizen: Es war schon wieder bloß ein VORgespräch.
Ein Universitätsprofessor vertrat die Diözese und war für das ERSTgespräch zuständig, doch war er sehr im Stress und gab weiter ...
Besser ein Buch darüber schreiben.
Besser dieses Buch.
Am besten dieses Buch.
Josef
Haslinger:
„Mein Fall“
S. Fischer Verlag.
144 Seiten.
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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