So ist Sebastian Fitzeks neues Buch "Der Nachbar“: Starautor lotet Grenzen aus
Für noble Zurückhaltung in Sachen Grauslich- und Grausamkeiten war Sebastian Fitzek schon bisher nicht bekannt. Im neuen Psychothriller verrät bereits der Titel, dass die Sache eine Unschöne wird. „Der Nachbar“ heißt das aktuelle Werk des Berliner Starautors.
Dem Österreicher schwant da Übles. Die Nachbarschaft, die ist oft per se schon nah am Psychothrill. Und auch der Mörder ist hierzulande ja seltener der Gärtner als eher der Nachbar. („Dabei hat er immer so nett gegrüßt!“ Das kennt man aus einschlägiger Berichterstattung.)
Alte Titel aus dem Gesamtwerk von Fitzek waren vielleicht expliziter („Der Augensammler“ etwa, oder „Der Seelenbrecher“), der „Nachbar“ sorgt für subtilen Horror. „Nur durch ein einziges Wort kann schon ein Bild im Kopf entstehen“, meinte Fitzek zuletzt im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. So sei es beim „Nachbarn“. Das Wort könnte harmlos klingen oder eine düstere Bedeutung haben. „Es gibt tolle Nachbarn, aber man hat auch die andere Sorte.“
Dass es in seinem neuen Buch um einen „der anderen Sorte“ geht, ist klar. Über seine Identität rätselt auch die Protagonistin, die ehemalige Strafverteidigerin Sarah Wolff, die mit ihrer Tochter in einer Neubausiedlung am Rande Berlins lebt. Dass Sarah nach mehreren Erlebnissen der grausamen Art allerlei Traumata zu verarbeiten hat und das Alleinsein fürchtet, ist praktisch für die Story. Und eben für den „Nachbarn“, der sich auf höchst verstörende Weise um Sarah „kümmert“.
Prosciutto im Kühlschrank - und dann wird es ernst
So füllt er etwa – ungefragt, ungesehen, unerkannt – den Kühlschrank mit jenem frischen Prosciutto und gesalzener Butter, die die Protagonistin am Morgen zuvor zu kaufen vergaß. Oder er bringt den Müll raus, kehrt Scherben auf und montiert Nachtlichter. Das an sich fällt schon ziemlich eindeutig unter Stalking denn unter fürsorgliche Nachbarschaftshilfe. Als der Täter beginnt, jene Menschen aus Sarahs Privatleben zu bestrafen, denen er die Schuld an ihren Ängsten gibt, wird die Sache aber wirklich ernst.
Von Schälern und Hanteln
Wer Fitzek kennt, weiß, wie er sich lesergerecht aufbereitete Bestrafungen vorstellt. Da ist es keine Seltenheit, dass Lippen mit dem Kartoffelschäler abgezogen werden, manchmal sind es auch Nasenspitzen.
Und so ein Kehlkopf ist schnell mit der Langhantel zerquetscht.
Explizite Gewaltfantasien waren schon immer Teil der Fitzek’schen Schreibe. Dass er diesmal die Grenzen wieder neu auslotet, mag Hartgesottene begeistern. Wer als Leser keine Freude daran findet, wenn (Achtung, Triggerwarnung!) Säuglinge Knopfbatterien lutschen, in Regenwassertonnen ertränkt oder mit Säure übergossen werden, darf sich aber durchaus denken: Ja, so etwas muss nicht jedem gefallen.
Begeistern kann Fitzek hingegen wieder mit seinem Gespür für Dramaturgie und Suspense: Zwischen Perspektiven wechselt er ebenso spielerisch wie zwischen Gegenwart und Vergangenheit; die Kapitel sind kurz und enden mit Cliffhangern und losen Strängen, die man erst später zu einem durchgängigen Faden verweben kann. Da spielt der 54-Jährige, der sich seit 19 Jahren von Thriller-Erfolg zu Thriller-Erfolg (zuletzt etwa „Die Einladung“ und „Der Heimweg“) schreibt, seine Stärken aus.
Große Konkurrenz
Die Initialzündung für das Buch, verrät Fitzek, kam nicht von ihm selbst, sondern von seiner Managerin und Freundin. Sie lieferte ihm den Titel, alles andere fügte sich. Dass sich der „Nachbar“ selbst in seiner Fürsorge als positiv erlebt – wie „ein Schutzengel“, finde er jedenfalls „unglaublich gruselig“, erzählt der Autor.
Fitzek-Jünger sollten das Buch unbedingt lesen. Mit einem Konkurrenten aber kann der „Thrillerkönig“ nicht mehr mithalten: mit seinem Alter Ego. Seit nicht allzu langer Zeit zeigt Fitzek mit als „Nicht-Thriller“ titulierten Büchern, dass er auch anders kann. Er erzählt mit absurdem schwarzen Humor, sprachlich geistreich und zugleich simpel genug, um kurzweilig und flott zu bleiben; die Plot-Twists setzt er auch hier gekonnt. Drei „Nicht-Thriller“ sind erschienen (zuletzt „Horror-Date“), alle drei sollte man gelesen haben. Manchmal ist der größte Feind nicht der Nachbar, sondern man sich selbst.
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