Karl-Markus Gauß: Zur besseren Wahrnehmung der Welt

Karl-Markus Gauß: Zur besseren Wahrnehmung der Welt
Als Politiker ihre Demut noch nicht herausgeschrien haben ... Eine neue Textsammlung des Salzburgers

Es geht auch wieder darum, dass eine Welt-Fröhlichkeit entsteht und wächst – ein Gefühl, das der Salzburger Karl-Markus Gauß (Foto oben) selbst spürt und auslösen kann:

Er ist (man ist) in fremden Gegenden unterwegs und fühlt sich trotzdem zu Hause.

Zum Beispiel in Berat im Landesinneren von Albanien: Schafft man dem Kellner nichts an, sondern bittet ihn, einen Wein aus der Region zu empfehlen ... er wird mit Freude roten und weißen Pulsi i Berati bringen, und der Wein wird wie Albanien sein: Stein, Licht und Wind. Schon ist man daheim.

Alle verwandt

Vielleicht wird man dann noch etwas erfahren, das den Wahnsinn rundherum unterbricht:

Die muslimischen und christlichen Familien in Berat haben im Krieg, als die Wehrmacht einmarschierte, die 600 Juden der Stadt in ihre Häuser geholt und als Verwandte ausgegeben.

Alle wurden gerettet.

So lernt Gauß und schreibt das Gelernte auf, um die Welt immer neu wahrzunehmen,

Zuletzt war er durch seine Wohnung gereist, und als er die fadenscheinigen Servietten betrachtete und den Bleistiftspitzer, flogen seine Gedanken los, schon war man in der etwas größeren Welt draußen. (Jetzt als Taschenbuch!)

In den gesammelten Reportagen, Essays und Reden mit dem Titel „Die unaufhörliche Wanderung“ kann es auch bloß eine Straßenkreuzung in Salzburg bei der Rudolf-Biebl-Straße sein, um das soziale und kulturelle Leben auf kleinem Raum zu beobachten.

Die Bäckerin dort hat übrigens in den 1980ern das Geschäft verpachtet, bald konnte der nachfolgende Bäcker die hohe Miete nicht zahlen, er ging zu der Frau im Altersheim und bettelte um Stundung, sie blieb hart.

Er erstach sie.

Was brauch’ ich Odessa für meine Studien?

Obwohl: Als er in der ukrainischen Stadt unterwegs war, fielen ihm die vielen Geländefahrzeuge auf: Die Fahrer hielten sich an keine Regeln, rasten auf Gehsteigen, Polizisten schauten weg. Es stellte sich heraus: Alle Kennzeichen, die auf 777 endeten, waren tabu – für alle, die keine Probleme wollten.

777 war damals zwei Berufsgruppen vorbehalten: dem organisierten Verbrechen und der Staatsanwaltschaft.

Es gibt noch genügend zum Nachdenken über den Hass, Wien in 50 Jahren, über Grenzen, die EU ... und über Demut: Früher machte man sich demütig klein. Heute schreit man heraus, dass man „voller Demut“ ein Amt übernimmt bzw. ausübt.

Gauß erinnert im Buch an den österreichischen Kanzler, der im deutschen TV vor einer Hetze gegen Reiche warnte – und dann nach Hause fuhr, um Langzeitarbeitslosen die Unterstützung zu kürzen, in aller Demut, die er gelobt hatte.

Man muss es immer wiederholen: Lesen gefährdet die Dummheit. Bei Gauß ganz besonders.

 


Karl-Markus
Gauß:
„Die
unaufhörliche
Wanderung“
Zsolnay Verlag.
208 Seiten.
23,70 Euro

KURIER-Wertung: ****


Karl-Markus
Gauß:

„Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer“
Erstmals als Taschenbuch.
Unionsverlag.
224 Seiten.
13,40 Euro

KURIER-Wertung: *****

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