Er war keiner von den anderen, die Chansons sangen
Es geht tatsächlich ohne Anbiedern. Sogar ohne Aufblasen ist es möglich, wahrgenommen zu werden. Georges Brassens lebte abseits, gelassen, versonnen, ungestört, er weigerte sich, dem Ruhm Tribut zu zollen. Ungern und schweißnass vor Angst ging er jedes Mal auf die Bühne.
Er sagte: „Ich bin eher Raucher als Sänger.“
Und nie sang er Sachen wie: „Du mit deinen nassen Haaren und deiner goldbraunen Haut, ich flehe dich an, komm zurück!“ (= Charles Aznavour)
Ihm flogen trotzdem Sympathien zu. Weil er keine Tabus kannte. Weil er nicht einzuordnen war. Selbst darüber schrieb und sang er ein Chanson:
Fünfundneunzig von hundert Mal
langweilt sich die Frau koital
Als Brassens 1981 starb, titelte France Soir auf der ersten Seite: DER TOD DES DICHTERS. Sein Name musste nicht dabei stehen. Es war allen klar, um wen es ging. Schnurrbart und Pfeife und die Gitarre auf dem Oberschenkel. In Frankreich haben singende Dichter Tradition. Sie sind eine Institution. Léo Ferré lebte damals noch. Brel war schon tot.
149 Schulen
Vor 100 Jahren wurde Georges Brassens geboren, der 40. Todestag war am 29. Oktober.
Der Bonner Übersetzer und Schriftsteller Gisbert Haefs hat für den Wiener Mandelbaum Verlag die Chansons der 15 LPs und CDs ins Deutsche übertragen. Was bestimmt oft zum Verzweifeln war.
Sind „emmerdanteuse“ … Verscheißerinnen?
Haefs: „Vom akademischen Untergrund bis hinauf zu den besten Zirkeln der Gosse wurden seine Lieder geliebt.“ Was auch dadurch zum Ausdruck kommt: 50 Straßen, Plätze und Parks in Frankreich tragen Brassens’ Namen. Und 149 Schulen. (Er war ein schlechter Schüler.) Und ein Asteroid.
„Er ist keiner von uns“, hat Aznavour gesagt. Das war lobend gemeint.
Denn Brassens beschäftigte sich wie kein anderer Chansonnier mit Metrik, Strophenform, er kannte die französische Literatur – „die Musik ist für mich genauso wichtig wie der Text, es fällt nur keinem auf ... Wer mir zuhört, vergisst die Musik.“
Gesungen hat er nur, weil er niemanden fand, der seine Lieder über den Nabel einer Polizistenfrau, über Kellerratten und „irgendwo Geborene“ darbieten wollte.
Nach Auftritten verschwand er gleich wieder, versteckte sich fast, außer für seine Freunde – Menschen außerhalb der Scheinwerfer, unter ihnen Pariser, die ihm halfen, als er keinen Franc, aber Hunger hatte.
Sein Privatleben hielt Brassens geheim. Erst nach seinem Tod erfuhr man, wer die „ewige Geliebte“ war, mit der er zusammen lebte – in zwei Wohnungen. Gemeinsam dann erst im Grab.
Das Alter spielt gar keine Rolle,
wenn man ein Arsch ist, ist man ein Arsch,
ob man zwanzig ist oder Großvater,
wenn man ein Arsch ist, ist man ein Arsch...
Das Foto oben zeigt Georges Brassens 1966 mit Juliette Gréco
Georges
Brassens:
„Die Chansons“
Aus dem Französischen von Gisbert Haefs.
Zweisprachig.
Mandelbaum Verlag.
656 Seiten.
48 Euro
KURIER-Wertung: *****
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