Ein Gerichtsurteil über Männer: „... und Trottel“

Ein Gerichtsurteil über Männer: „... und Trottel“
Lydia Mischkulnig porträtiert eine Frau (und Ehefrau), die Macht hat, Asylwerber zurückzuschicken: "Die Richterin"

Ein Urteil ist ein Urteil, es muss keineswegs richtig sein, geschweige denn gerecht, es ist nur ein Urteil – hat der Wiener Rechtsanwalt Oswald Karminski-Pielsticker (2012 gestorben) oft gesagt, auch zu sich selbst, um sich im Fall eines verlorenen Zivilprozesses zu beruhigen.

Aber es ist Wirklichkeit.

Die Richterin, die Lydia Mischkulnig so genau, so umwerfend genau, porträtiert, ist Verkünderin der Wirklichkeit. Sie hat mit Asylrecht zu tun, in zweiter Instanz (wo bekanntlich an die 40 Prozent der Ablehnungen erster Instanz korrigiert werden).

„Die Richterin“ zu lesen, ist: ein Stück Welt erfahren. Ein Stück von einer unbekannten Welt, denn: Man redet über Flüchtlinge – aber denkt eher nicht daran, wie es jemandem geht, der entscheiden muss (weil Afghanistan als „sicheres Herkunftsland“ gilt): Muss der / die zurück nach Kabul, wo eben wieder Bomben der Taliban 35 Menschen getötet haben?

Weinen

Es ist keine junge Richterin mehr, die in ihrem Büro sitzt und raucht und fürchtet zu erblinden: Wird sie eines Tages ihre Entscheidungen als moralisch verwerflich erkennen? Sie weiß, gegen Anteilnahme helfen juristische Formeln.

Gabrielle hält sich ans Gesetz, dadurch, dass sie alles möglichst genau ergründet (und garantiert zwecks Recherchen einmal nach Afghanistan fliegen wird), erhöhen sich die Chancen der Asylwerber, zumindest auf Bleiberecht.

Man wird diese Frau, von der man sich einiges Menschsein abschauen kann, kennenlernen. Intensiver kann Literatur kaum sein.

Ihre Augen tränen stark, fremde Leute müssen glauben, sie weint.

Sie hätte einige Gründe zu weinen. Über die Flüchtlinge, in die sie sich einzufühlen versucht. Über ihren Ehemann, der heimlich ihre Kleider anzieht, so putzt er das Haus.

Über ihren suchtkranken jüngeren Bruder, dessen Schulden sie zahlte und der trotzdem gestohlen hat; und irgendwie verantwortlich ist, dass ihre Schwangerschaft unglücklich verlief.

Mit ihr würde man gern bei einem Glas Wein über den gelungenen Satz, Mischkulnigs gelungenen Satz, lachen:

„Es gibt nur zwei Arten von Männern. Feministen und Trottel.“


Lydia
Mischkulnig:

„Die Richterin“
Haymon Verlag.
280 Seiten.
22,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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