Don DeLillo: Die nächste Katastrophe ist der Dritte Weltkrieg

Don DeLillo: Die nächste Katastrophe ist der Dritte Weltkrieg
Im Kurzroman "Die Stille" lässt es der Amerikaner während der Super Bowl 2022 finster werden

Corona ist Vergangenheit. Don DeLillo hat über eine Katastrophe geschrieben (und er gilt als ein Prophet in der Literatur), die erst kommen wird.

Im Jahr 2022.

DeLillo war mit „Die Stille“ schon fertig gewesen, als die Pandemie ausbrach. Er hat das Wort „Corona“ dann noch auf Seite 84 hineingezwängt, damit es kein Missverständnis gibt: Diese Katastrophe hat er nicht gemeint. Sondern die folgende digitale. Die alles finster machende. Den Dritten Weltkrieg.

Super Bowl 2022

Der Amerikaner, 83 ist er, verstörte bereits in Romanen mit nuklearem Wahnsinn und Terror.

Jetzt lässt er die Systeme ausfallen. Kein Strom, kein Handy. Man bekommt so gut wie nichts von dem mit, was „draußen“ passiert.

Außer: Ein Flugzeugs, aus Paris kommend, baute in New York eine Bruchlandung. (Andere Flugzeuge werden wohl abgestürzt, zerschellt sein. Darüber wird kein Wort verloren.)

Ein Paar, das nahezu unverletzt überlebt hat, kommt mit Verspätung zur kleinen Party nach Manhattan in die Wohnung der Physikprofessorin Diane und ihres Lebensgefährten Max.

Tortellini und kalte Getränke stehen bereit: Es ist nämlich Super Bowl.

Max und Diane und ein ehemaliger Schüler sitzen schon vor dem Fernsehapparat, als das Bild schwarz wird. Kurz sind seltsame Stimmen zu hören. Jemand sagt, das müssen Außerirdische sein ...

DeLillos 17. Roman ist ein kurzer. Der US-Nobelpreis-Kandidat wollte sich keinen Raum nehmen, um längere Zeit Menschen in der Krise zu beobachten; und schon gar nicht die Krise wollte er beschreiben.

Ihm genügte: Irgendetwas ist geschehen, und irgendetwas wird geredet. Diskutiert wird nicht.

Es gibt nichts zu sagen. Deshalb werden nur Wörter ausgestoßen, die spontan durch den Kopf gehen. Teleologie etwa. Ätiologie. Das neurale Interface. Man staunt: Beim Lesen geht das nicht nahe. Aber kluge Leute sind das.

Bis auf Max. Der schaut aufs schwarze Bild, er hat Geld gewettet und kommentiert das Footballspiel, das es gar nicht gibt („An der Seitenlinie strahlt die Mannschaft Selbstsicherheit aus“)

Niemand versucht zu klären, um welche Katastrophe es sich handelt. Haben sie sich danach gesehnt? Zumindest abgefunden dürften sich alle damit haben, dass soeben der Zusammenbruch der Zivilisation eingeläutet wurde. Sie haben es ohnehin gewusst. Wir wissen es alle.

Don DeLillo geht’s wie den Partygästen. Er verhält sich recht ruhig. Nur ein Anstoß soll „Die Stille“ sein. Der kommt von der einzigen „großen“ Bemerkung, und die stammt nicht von ihm, sondern von Einstein: Mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, das wisse er nicht – „aber im Vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.“

Die Welt ist alles, das Individuum ist nichts.

Na gut.

 


Don DeLillo:
„Die Stille“
Übersetzt von
Frank Heibert.
Kiepenheuer
& Witsch Verlag.
112 Seiten.
20,60 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern

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