Der Garten, der Jamaica Kincaid an das Meer erinnert

Der Garten, der Jamaica Kincaid an das Meer erinnert
Ihr Werk wird neu aufgelegt: Die Nobelpreis-Kandidatin aus Antigua über die Karibik, die Saatkartoffel und den Vater

Sie hätte ihn ertränkt. Sie hätte ihn in einem Fass ertränkt, bloß weil der Waschbär ihre Kürbissamen aus der Erde kratzte.

Diese „zerstörerische Kreatur“ war in die Lebendfalle gegangen, und nur weil „die drei winselnden Pazifisten, mit denen ich geschlagen bin“ (= Ehemann, zwei Kinder) ein Geschrei erhoben, wurde der Waschbär in der Wildnis ausgesetzt.

„Mein Garten(Buch)“ ist ein bisschen anders. Besessener. Emotionaler. Selbstironische ... wenn ihre Garage mit Pflanzen, die in der ganzen Welt bestellt wurden, voll ist und ihre Familie fürchtet, sie habe sich finanziell übernommen, alle müssen jetzt hungern.

Landkarte

Wenn der fade Winter da ist, sitzt Jamaica Kincaid in der Badewanne und studiert den „Ronniger Saatkartoffelkatalog“ . Saatkartoffel! Großes Glück!

Sie gilt als nobelpreisverdächtig. Geboren auf der Karibikinsel Antigua hat die Amerikanerin rund ums Haus in Vermont, ohne es anfangs zu merken, einen Garten angelegt, der wie eine Karte der karibischen Inseln und des Meeres ist.

Eine Übung des Erinnerns. Eine Möglichkeit, zur Vergangenheit zu finden.

Der Schweizer Kampa Verlag legt Jamaica Kincaids Werk auf – zum Teil erstmalig auf Deutsch. Ihr Gartenbuch ist 21 Jahre alt, „Mister Potter“ 19 Jahre.

Ihr leiblicher Vater hieß Potter. Sie kannte ihn nicht, Mutter lief ihm davon, da war das Baby noch im Bauch. Der Roman – mit manchmal übertriebenen Thomas Bernhard’schen Wiederholungen – hätte ursprünglich mit dem Satz beginnen sollen:

„Mr. Potter war mein Vater, der Name meines Vaters war Potter.“

Aber die folgende Leere wäre zu groß gewesen. (Der Satz kommt später, 100 Mal.) Deshalb scheint am Anfang lieber die Sonne („Und an jenem Tag stand die Sonne dort, wo sie auch sonst stand), denn es ist eine universelle Geschichte.

Ob sie mit ständigem Einhämmern und nur wenig Inhalt einen Sog entwickelt oder auch geduldige Leser nervt, ist Geschmackssache (wie gelbe Pfingstrosen).

Die Welt hat Potter produziert, bei armen Leuten. Er kann nicht schreiben, er kann nicht lesen, er staunt über nichts, will nichts wissen, nichts über sich selbst. Er arbeitet als Chauffeur, er zeugt mit vielen Frauen viele Kinder, immer Mädchen, die eine Nase haben, die der seinen gleicht. Er hat keine eigenen Gedanken.

Jamaica war vier, als sie von ihrer Mutter zu ihm geschickt wurde, um Sixpence für einen Schreibblock zu erbitten. Sie winkte. Er weigerte sich, sie zu sehen.

Nur im Buch „Mister Potter“ ist sie dem Vater nahe.

 

Jamaica Kincaid:
„Mister Potter“
Übersetzt von
Anna Leube und Wolf Heinrich Leube.
Kampa Verlag.
224 Seiten.
22,60 Euro

KURIER-Wertung: ****

 


Jamaica Kincaid: „Mein Garten(Buch)“
Übersetzt von Renate Orth-Guttmann.
Kampa Verlag.
272 Seiten.
22,60 Euro

KURIER-Wertung: ****

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