Bücher, die zu Freunden werden

Bücher, die zu Freunden werden
Gute Geschenke (aber die Bücher sind nicht nur Geschenke): Lily Brett, Goscinny, Jo Nesbø, David Bowie, Meyerhoff ...

Worauf Jonas Jonassons Massai aufmerksam macht

Irma Stern. Es ist Jonas Jonasson und sein neuer Roman „Der Massai, der in Schweden noch eine Rechnung offen hatte“ (C. Bertelsmann, 22,70 Euro), der die Wiederentdeckung der Malerin Irma Stern einläutete: In seiner Komödie, es ist genau die richtige zurzeit, tauscht ein afrikanischer Medizinmann zwei  Millionengemälde gegen  zwei Tuben Brotaufstrich mit Kaviarersatz. Parallel dazu setzt sich der Prestel Verlag bzw. Kunstkritiker  Sean O’Toole mit der Biografie auseinander: „Irma Stern“ (25,70 Euro) – Südafrikanerin in Europa, Europäerin in Afrika.  Ein Hin und Her, auch in ihrem Kopf: Sie liebte Afrika und die Menschen – und war für Rassentrennung. Die  im Buch abgedruckten Bilder sind unvergesslich schön, man würde sogar echten Kaviar dafür bieten.

Das Foto oben stammt aus dem Buch. Es zeigt Irma Stern  (1894 – 1966) in ihrem Atelier, aufgenommen 1936

 

Intimitäten mit grauem Star und Taschenlampe

Kolumnen. Intimität ist ihre Spezialität. Seit Lily Brett schreibt, gibt sie sich neurotisch, und immer kommen ihre drei Psychoanalytiker auf zwei Kontinenten vor, selten fehlt ihre russische Fußpflegerin, und das kann nerven. Aber wenn sie Pause macht, dann fehlt etwas. Deshalb ist, acht Jahre nach ihrem bislang letzten Roman „Lola Bensky“, ihr Kolumnenbuch „Alt sind nur die anderen“ (Suhrkamp, 15,50 Euro) herzlich willkommen. Es geht um ihren grauen Star (sie verwechselte Hydrant mit Hund), um ihre neue Dusche mit Dreiwegumstellventil, um Bob Dylan, Nazis, Taschenlampe und Nierenarterie. Eine feinere Mischung findest nicht.

 

Er mixte den Trank, der Lachen brachte

Asterix. Seine Lieblinge waren Laurel und Hardy, deshalb wurde Asterix klein (und nicht, wie es Zeichner Uderzo wollte, groß und stark) und Obelix ein bisschen dumm und dick: René Goscinny, Autor von Asterix, Lucky Luke, dem kleinen Nick ..., gestorben 1977 auf dem Hometrainer eines Pariser Kardiologen. Als seine Tochter Anne 18 war, den Arzt besuchte und ankündigte, ihn zu erschießen, sagte der Arzt nur: „Im  Übrigen hat Ihre Familie mir nie ein Honorar gezahlt.“ So beginnt die Comics-Biografie „Die Geschichte der Goscinnys“ (Carlsen, 28,80 Euro). Ihr Vater musste seine Welt und die ganze Welt zum Lachen bringen: Viele aus der jüdischen Familie waren in Auschwitz ermordet worden. Anne Goscinnys Glücksgriff: Sie bildet ein Team mit Zeichnerin Catel.

 

Vielleicht war er ein Liebender und kein Spion

Triest. „Die Liebenden von der Piazza Oberdan“ (Picus, 25 Euro) ist in vierter Auflage erschienen. Das hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten, aber hier schon: Ruhig fließt der Roman durch schreckliche Zeiten. Autor Christian Klinger schrieb früher Krimis unter dem Pseudonym „Marco Martin“ – gut, dass er damit aufgehört hat. Sein neuer „Held“ ist Pino Robusti. Die Risiera di San Sabba – das ehemalige nationalistische KZ in Triest, heute Museum – erinnert an ihn: War Pino Robusti Widerstandskämpfer oder  zunächst nur ein Liebender, der immer auf der Piazza Oberdan auf seine Freundin wartete? So geriet er unter Spionageverdacht – dort war das Hauptquartier der SS. Christian Klinger geht durch Triest 1920 bis 1945, als hätte er nie viel anderes gemacht.

 

100 Bücher, die Bowie zu Bowie machten

Die Liste. David Bowie reiste lieber in der Eisenbahn als im Flugzeug, und als er ein Star war und es sich leisten konnte, fuhr ein Kasten mit Regalen mit, auf denen Platz für 1.500 Bücher war. David Bowie las sehr viel. Drei Jahre vor seinem Tod 2016 listete der Musiker auf, welche 100 Bücher ihn am meisten beeinflusst haben. Nicht seine Lieblingsbücher (er mochte Stephen King und Kafka)! Aus dieser Liste hat der britische Journalist John O’Connell „Bowies Bücher“ (Kiepenheuer & Witsch, 16,50) geformt. Herrlich unakademisch analysiert er Bowies 100 „Werkzeuge“. Die Neugier wächst und wächst. Nie fehlt der Hinweis, welchen Bowie-Song man sich zu welchem Buch anhören soll. „Let’s Dance“ passt zu Bruce Chatwins „Traumpfade“, „Wishful Beginnings“ zu Homer,  „Sunday“ zu di Lampedusas „Leopard“ ...

 

Kein Harry Hole, aber Brüder mit Rutschgefahr

Kriminalroman. Nur wenige stechen aus der immer größer und bedrohlich werdenden Menge an Krimiautorinnen und -autoren hervor, der Norweger Jo Nesbø überragt fast alle um Häuser. „Im Königreich“ (Ullstein, 25,70 Euro) kommt er ohne Harry Hole aus, der in Band 12 aus dem Vorjahr so gefoltert wurde, dass er viel Ruhe und Whisky und alte Platten braucht. Von Nesbø hätte man das auch erwartet, aber nein.
Zwei Brüder im Hochgebirge, beide knapp über 30. Die Straße, die zum Berghof führt, ist eisig. Vor allem dann, wenn die Straße eisig gemacht und die Bremsen von  nicht willkommenen Autos manipuliert werden. Wer den Brüdern, die ein Hotel bauen lassen, in die Quere kommt, rutscht aus. Das haben schon ihre Eltern erfahren. Sterbende Augen sehen übrigens „wie zwei kaputte Eidotter“ aus.

 

Schadet die tägliche Gemüsesuppe?

Einsamkeit. Wie kann man in nur 100 Seiten derart versinken? Es ist ja bloß ein altmodischer Mann, den man kennenlernt. Ein Gewohnheitstier. Ein Kulturmensch, der in der Badewanne Monteverdi hört und jeden Tag Gemüsesuppe essen möchte. Verheiratet, zum zweiten Mal, wie betont wird. Aber gab es eine erste Ehefrau? Hat er sie in die Themse geschubst? Und gibt es überhaupt diese zweite Ehefrau? Ein Roman, den man ganz und gar versteht – wozu noch lesen? „Wohin gehst du, mein Leben?“ (Verlag Jung und Jung, 18 Euro) von Gabriel Josipovici lässt jene Fragen offen, die man haben muss, um für längere Zeit abzutauchen: Braucht man Einsamkeit, um selbst zu sein? Ist ein routiniertes Leben ein schlechtes Leben? Verfehlt dieser kunstsinnige Mensch  das Leben (was ja auch eine Kunst ist)?

 

"Bravo"-Rufe für den Finger auf der Nase

Medizin.   Sein „Hamster im hinteren Stromgebiet“ (24,70 Euro) musste witzig sein dürfen. Ein Balanceakt zwischen Ernst und Humor: Schauspieler Joachim Meyerhoff, 51, es war im Dezember 2018, hatte einen Schlaganfall, Jetzt lacht er: Ein „Schlagerl“ habe er gehabt, „ich bin ein Schlagerlstar!“ Sofort hatte dieser hyperaktive Mensch, den seine Eltern auf die vibrierende Waschmaschine im Schleudergang setzten, damit er zur Ruhe kommt, die Lage erkannt, auf der Intensivstation merkte er: Von der Rampensau zum sterbenden Schwan ist es nur ein Katzensprung. Ein beunruhigendes Buch ... mit Einlagen: Wenn z.B. Meyerhoff  versuchte, mit dem Zeigefinger seine Nase zu treffen und der unsympathische Patient gegenüber „Bravo!“ rief – „Mein Schauspielerdasein war am Nullpunkt angekommen.“

 

Bekanntschaft mit dem stillen Giganten

Kurzgeschichten. Falls man keine Zeit hat, aber sich Leckerbissen gönnen möchte: Lydia Davis schreibt Kurz-, oft  Kürtestgeschichten ... und es ist eher nicht damit zu rechnen, dass man dann lesend von einer Frau erfährt, die mit einer Oboe masturbiert. Aber was die heute 77-jährige schreibt, das muss zuschlagen. Oder hintreten.
Der Band „Es ist, wie’s ist“ (22 Euro) ist eine gute Gelegenheit, sie endlich kennenzulernen. Alle ihre „Collected Stories“ liegen ab jetzt in der Übersetzung im Droschl Verlag vor, und es ist zu überprüfen, ob sie – Zitat Los Angeles Times – ein stiller Gigant in der amerikanischen Literatur ist. Es sind Details im Leben, mit staubtrockenem Humor aufgespürt. Persönlicher, schwindelig machender Lieblingssatz: „Die Tatsache, dass sie ein alter Mann war, machte es ihr schwierig, eine junge Frau zu sein.“

 

Eine Stadt in der Prärie ohne Manager

Abschied. Die Verwunderung war groß, weil man Kent Haruf (1943 – 2014) und sein in sechs Romanen aufgebautes Städtchen Holt in der Prärie von Colorado bisher nicht gekannt hat. Alle, alle will man jetzt lesen. Lustig wird es nicht mit ihm und mit „Kostbare Tage“ (Diogenes, 24,70 Euro). Es sind kleine Leben, niemand in Holt ist in der Werbebranche oder Manager. Der alte Eisenwarenhändler Dad Lewis erfährt vom Arzt, dass er Krebs hat und nur noch Wochen zu leben. Seine Frau bricht im Haus ohnmächtig zusammen. Nachbarn kommen, helfen – es ist ein Roman des Abschieds und Mitgefühls. Wenngleich Dad Lewis für seinen homosexuellen Sohn kein Gefühl gezeigt hatte. Kent Haruf kann Liebe erforschen und Dummheiten und Zorn. Er kann Beziehungen von beiden Seiten erzählen lassen, damit man sich leichter tut beim Verstehen

 

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