Buchkritik: Sandra Gugić hat "Zorn und Stille"

Buchkritik: Sandra Gugić hat "Zorn und Stille"
Roman über eine Familie, die vor dem Krieg aus Serbien nach Wien kam: Wer sind "unsere Leute" in Favoriten?

Sie redet übers Kaninchen, das ihre Tochter, erinnerst du dich?, als Kind hatte und das die ganze kleine Wohnung vollsch... Sie hört gar nicht mehr auf, davon zu erzählen. Wenn sie das sagt, weswegen sie ihre Tochter eigentlich angerufen hat, dann erst wird ES wahr ...

„Dein Vater ist tot.“

„Zorn und Stille“ ist ein Familienroman.

Nach schwarzem Tee wie der Großvater riecht der Roman. Und nach dem warmen bitteren Schweiß der Mutter, wenn sie von der Arbeit heimkommt. Alte Hände haben den Geruch der Jahreszeiten, und Krautrouladen mit Speck und Lorbeer liegen ebenfalls schwer in der Luft.

Die Künstlichkeit, die man Sandra Gugić - Foto oben - in ihrem Debütroman „Astronauten“ (2015, Verlag C.H.Beck) nachsagte, ist weg. Jetzt klingt jedes Wort echt. Vielleicht macht die eigene Erfahrung den Unterschied, vielleicht aber ist fast gar nichts biografisch. Geht niemanden etwas an.

Sehnsucht

Die Eltern kamen jedenfalls vor dem Jugoslawien-Krieg von Serbien nach Wien, wo die Tochter geboren wurde: Das trifft auf Gugić zu – und auf ihre Figur Biljana Banadinović, die mit 17 auf und davon ist, weil sie das Leben der Eltern in Favoriten nicht „richtig“ fand. Sie reist, wird eine bekannte Fotokünstlerin, nennt sich Billy Ban, ihr jüngerer Bruder reist ebenfalls, am Balkan will er erfahren: Was haben die Irren, als in Jugoslawien gekämpft wurde, gemeint, als sie mit Favoriten telefonierten: Bist du Serbe oder Kroate? Als sie von „unseren Leuten“ sprachen?

Als der Vater stirbt, fährt Billy nach Belgrad, wo er begraben werden wollte. Es stellt sich heraus, dass er dort eine kleine Wohnung hatte, heimlich. Sehnsuchtsort?

Heimat, Trauma, Selbstbestimmung: Da sind so viele Fragen, die nach Antwort suchen, wenn die Tochter zurückschaut, dann der Bruder, die Mutter, der Vater. So viel Zorn und Stille sind im fremden Land, das Vergangenheit heißt.

Außerdem wird Wien, „in zärtlicher Nachlässigkeit verstaubt“, porträtiert. In Wien überleben Gegenstände und Erinnerungen länger als andernorts, auch die Altlasten und die Schuld.

 

Sandra Gugić:
„Zorn und Stille“
Hoffmann und
Campe Verlag.
240 Seiten.
24,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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