Buchkritik: Nuruddin Farah ist "Im Norden der Dämmerung"

Buchkritik: Nuruddin Farah ist "Im Norden der Dämmerung"
Der aus Somalia stammende Schriftsteller holt im neuen Roman die Hinterbliebenen eines Selbstmordattentäters nach Oslo.

Nuruddin Farah (Bild oben) schreibt Weltliteratur und macht Angst. Er ist aus Somalia. Angst löste er mit Romanen wie „Netze“ und „Gekapert“ aus, in denen es um das afrikanische Land geht, indem es Krieg gegen sich selbst führt – sogar helfende Ärzte werden erschossen und von Bomben zerfetzt, wenn sie den weiß gekleideten, Peitsche tragenden Al-Shabaab-Schergen im Weg stehen.

Somalia begeht Selbstmord. Herrschende Clans lehnen internationale Lebensmittellieferungen ab und lassen lieber 100.000 Kinder verhungern.

„Im Norden der Dämmerung“ erzählt vom Ehepaar Gacalo und Mugdi, einst war er (Mugdi) Botschafter Somalias in vielen Ländern, nun lebt die Familie in Oslo. Der Sohn, mit dem der Vater den Kontakt abgebrochen hatte, ging nach Somalia zurück und starb dort als norwegischer Staatsbürger – und Selbstmordattentäter.

Kein Gurt

Er hinterließ Ehefrau und zwei Stiefkinder. Wie reagiert man da als Schwiegereltern / Großeltern? Auf Drängen der Mutter des Toten werden die Drei nach Oslo eingeladen.

Schon beim Abholen vom Flughafen zeichnen sich kommende Probleme ab: Die Frau weigert sich, im Auto Sicherheitsgurte zu verwenden. „Wir werden an dem Tag sterben, den Allah für uns bestimmt hat.“

In der Wohnung, die für sie angemietet wurde, versucht der Zwölfjährige das Kommando zu übernehmen – denn Männer müssen so sein. Er kann ja nichts dafür. Schnell passt er sich an (inkl. Alkohol). Dass ihn ein Iman dafür mit dem Gürtel auspeitscht, findet seine Mutter nur gerecht. Sie selbst hatte für ihren Sohn eine strenge Strafe gefordert.

Es ist das Jahr des Terrors des rechtsextremen Massenmörders Breivik (2011).

Nuruddin Farah findet Übereinstimmungen zwischen dem radikalen Islam und Neonazis.

„Im Norden der Dämmerung“ hat nur dann Antworten zum Thema Integration und Fanatismus, wenn man sich Zeit nimmt fürs Buch.

Und man darf sich nicht täuschen lassen vom Stil des mittlerweile 82-Jährigen, der sich in der Figur Mugdi – weit gereist wie Farah – zum Teil verewigt hat.

Es ist so „brav“ geschrieben, so unspektakulär, manchmal schulmäßig fast.

Und das ist genau die richtige Art, um über so viel Unfassbares zu schreiben.

Sagt der kluge Sohn zur Mutter: „Wir Somalis leben ein Leben voller Lügen. Unser Glaube, das sind nur Lippenbekenntnisse. Deshalb wuchern die Misstöne in unseren Herzen immer weiter, deshalb nehmen die Kämpfe in unseren Köpfen auch kein Ende...“

 

Nuruddin Farah:
„Im Norden der Dämmerung“
 Kunstmann
Verlag.
400 Seiten.
25,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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