Buchkritik: Jürgen Bauer und sein "Portrait"

Buchkritik: Jürgen Bauer und sein "Portrait"
Drei geliebte Menschen beschreiben „ihren“ Georg. Er muss froh sein, wenn er verschwommen bleibt

Wenn drei Menschen von dir erzählen und jeder anders, weil jeder anderes erlebt hat (und jeder dann ohnehin von sich selbst am meisten redet) ... wer bin ich dann „in echt“?

In „Portrait“ von Jürgen Bauer (Foto oben) – er bevorzugt die alte Schreibweise, die heute abseits der Kunst als „inkorrekt“ gilt – erzählen die Mutter, der Liebhaber und die Ehefrau. Möglicherweise wird Georg, der drei Mal Beschriebene, am Ende verwirrt sein: Wie viele Identitäten kann man haben? Georg selbst kommt nie zu Wort.

Dazu sagt Jürgen Bauer, der mit „Was wir fürchten“ und „Ein guter Mensch“ zwei bedrohliche Bücher geschrieben hat (im KURIER): „Die ursprüngliche Frage war: Kann durch die Erzählung geliebter Menschen ein komplettes Porträt einer Figur entstehen? Hätte Georg gesprochen, wäre diese Frage von vornherein beantwortet gewesen. So muss, denke ich, jeder entscheiden, ob er/sie am Ende weiß, wer dieser Georg ist. “

Menschensteinchen

Georg ist ein Bauernbub, der es zum Ministerialbeamten schafft. Die alleinerziehende Mutter war nicht glücklich, als er nach dem Gymnasium auch noch Jus studierte. Er hätte am Hof helfen sollen.

Man wird mehr über Mutter erfahren, wenn sie erzählt. Über den schwulen Freund, wenn er erzählt. Über die gar nicht konservative Ehefrau, wenn sie es ist, die erzählt.

Man wird vom Krieg erfahren und von der Wiener Schwulenszene der 1970er samt Aids und von der Staatsopernclique (denn Georgs Ehefrau war Sängerin). Drei Geschichten, eine besser, interessanter, bewegender als die andere. Ineinander fließend, verwischend. Ein Mosaik aus Menschensteinchen.

Vier Leben insgesamt.

Von Georgs Gesicht sieht man vor allem seine Tränen. Sonst bleibt bei ihm vieles verschwommen, und es könnte sein, dass er sich im Alter selbst verschwommen sehen würde (wie auf dem Buchumschlag, den Jürgen Bauer gemalt hat auch noch dazu).

Allein schon aus Selbstschutz ist es für ihn besser so.

Wieder ein österreichischer Schriftsteller, der sich davon verabschiedet hat, ein Geheimtipp zu sein. Man legt das Buch weg und ist fix und fertig.

 

Jürgen Bauer:
„Portrait“
Septime Verlag.
316 Seiten.
23,90 Euro

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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