Als Billy Wilder kein König von Hollywood mehr war

Das Lächeln um die Lippen, das sich unverzüglich beim Lesen einstellt, endet (vorerst), wenn klar ist:
Was Filmregisseur Billy Wilder geben konnte – nach „Manche mögen’s heiß“, nach „Zeugin der Anklage“, nach „Das Appartement“ ... – das wollte eigentlich niemand mehr.
„Fedora“ hieß 1978 der Film, sein vorletzter, für den er keine amerikanische Geldgeber mehr fand (aber deutsche). Den man nicht so schnell nacherzählen kann wie „Der weiße Hai“. Steven Spielbergs Film lässt sich freilich locker mit ein paar Schreien zusammenfassen.
Zum Kino passend
Billy Wilder sitzt gedankenverloren in seinem Haus. „Was ist los?“ fragt seine Frau – „Ich hab nur gedacht, dass ich Steven Spielberg war, früher einmal.“
„Mr. Wilder & ich“ ist ein weiterer Abgesang aufs alte Hollywood. Und auf seinen einstigen König.
Aber nicht zähflüssig und gewalttätig wie Quentin Tarantinos kürzlich erschienener Roman „Es war einmal in Hollywood“.
Sondern zufriedenstellender. Lächelnd ist man traurig / wehmütig; und ernst dreinschauend freut man sich und ist selig beim Lesen einer Geschichte, die so erholsam geschrieben wurde, dass sie zum Kino der 1940er, 1950er passt, old fashioned.
Der Engländer Jonathan Coe („Middle England“ = DER Brexit-Roman) setzt eine fiktive junge Griechin namens Calista zu den gut dokumentierten „Fedora“-Dreharbeiten mit William Holden, Marthe Keller, Hildegard Knef, Henry Fonda ... (ganzer Film auf YouTube!)
Sie dolmetscht, später wird sie persönliche Assistentin von Wilders ständigem Co-Autor und Freund Iz Diamond (1988).
Dessen Sohn half Coe beim Roman, beide begaben sich in Beverly Hills auf die Spuren von Iz und Billy.
Wo ist seine Mutter?
Eine weltberühmte, auf die 70 zugehende Filmdiva, die irgendwo auf einer griechischen Insel lebt, bemüht sich um ewige Jugend.
Man denkt bei „Fedora“ an die Garbo, an die Dietrich.
Man könnte auch an Billy Wilder denken. Man könnte glauben, er identifizierte sich mit der Diva. Deshalb musste der Film entstehen.
Es gibt eine Szene am Anfang des Buchs, Billy Wilder teilt sich mit seiner Frau Audrey Austern und seufzt, weil alle vom weißen Hai reden.
Es gibt eine Szene, etwa in der Mitte: Er bestellt in München Stelze und Knödel, und ein Deutscher versucht, den Holocaust zu leugnen. Billy Wilder antwortet mit der Erzählung seiner Flucht und endet mit dem Satz:
„Wenn die Konzentrationslager und Gaskammern nur Einbildung waren, wo ist dann meine Mutter?“
Und gegen Schluss der Dreharbeiten in der Nähe von Paris gibt eine Szene, der 71-Jährige streicht Brie de Meaux auf ein Stück Baguette und redet von den Freuden, die das Leben – auch – zu bieten hat.
Keine dieser seltenen Begegnungen sollte man sich entgehen lassen.
Foto oben: Billy Wilder bei den Dreharbeiten zu „Manche mögen’s heiß“ mit dem verkleideten Jack Lemmon
Jonathan Coe: „Mr. Wilder & ich“
Übersetzt von
Cathrine Hornung.
Folio Verlag.
280 Seiten.
22 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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