Bregenzer Festspiele haben begonnen: Ödipus und die Horror-Sphinx

Von: Susanne Zobl
Vielversprechende Voraussetzungen schuf Lilli Paasikivi zur Eröffnung ihrer Intendanz der Bregenzer Festspiele. Zunächst mit dem Werk an sich: „Œdipe“ von George Enescu ist eines der faszinierendsten und verstörendsten Werke der Moderne. Der gebürtige Rumäne arbeitete über zehn Jahre an diesem Werk, das 1936 in Paris zur Uraufführung kam. Mit seinem Librettisten Edmond Fleg verarbeitete er darin Sophokles Dramen „König Ödipus“ und „Ödipus auf Kolonos“.
Überwältigend war dieses Werk 2019 bei den Salzburger Festspielen unter dem Dirigat von Ingo Metzmacher mit Christopher Maltman in der Titelrolle zu erleben. Achim Freyer zeigte diesen als Boxer wie in einem Helden-Comic. Nun nahmen sich der versierte Regisseur Andreas Kriegenburg und der Dirigent Hannu Lintu die Menschheitstragödie vom Königssohn vor, der seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet.
Die Rechnung ging im Bregenzer Festspielhaus jedoch nur bedingt auf. Das liegt nicht zuletzt an Kriegenburgs Inszenierung. Er spult die Geschichte im besten Wortsinn brav ab. Wie in einer Filmvorführung werden der Titel und die Kommentare zum jeweiligen Akt, die unter den Zeichen Feuer, Wasser, Asche und Holz stehen, auf eine schwarze Leinwand projiziert. Eine Art Cinecittà kündigt sich da an und wird mehr oder weniger mit Versatzstücken durchgehalten.

Kriegenburg setzt auf Harald B. Thors reduziert ausgestatteter Bühne auf kräftige Farben. So feiert das Volk von Theben die Geburt des Thronfolgers in leuchtend roten Gewändern, bis der Seher Tirésias dessen Schicksal verkündet. Der Vatermord wird vernebelt. Eine der zentralen Szenen ist der Moment, wenn Ödipus die Sphinx überwältigt. Diese könnte bei Kriegenburg einem Horrorfilm entstiegen sein. Sie ist ein Todesengel, der seine Rippen wie auf einem Röntgenbild zeigt. Dessen gigantische Flügel werden von Statisten bescheiden zum Flattern gebracht. Am Ende regiert der Kitsch, wenn Ödipus in einem gelblich erleuchteten Wald von Baumstämmen seine Erlösung findet.
Die Personenführung wirkt sehr reduziert. Dass diese Tragödie spürbar wird, liegt vor allem an Paul Gay, der die Titelrolle erst kurzfristig im Juni von Johan Reuter übernahm. Der Bassbariton verkörpert vokal und darstellerisch den Ödipus in all seinen Facetten. Er ist der liebende Sohn, der seine vermeintlichen Eltern flieht, als ihm das Orakel sein Schicksal offenbart. Er ist brutaler Machthaber und geht am Ende schonungslos mit sich selbst ins Gericht.
Marina Prudenskaya ragt als Iocaste heraus. Ante Jerkunica beeindruckt als Tirésias. Tone Kummervold lässt als Mérope aufhorchen. Solide: Tuomas Pursio als Créon und Anna Danik als Sphinx. Der Prager Philharmonische Chor (Einstudierung: Lukáš Vasilek) intoniert ausgewogen.
Irritierend ist das Dirigat von Hannu Lintu. Der spart am Pult der Wiener Symphoniker das Pathos der Musik nahezu komplett aus. Vieles wirkt brüchig, zerklüftet, was sich in den beiden folgenden Aufführungen (mehr gibt es nicht) aber noch ändern an. Jubel für alle Beteiligten vom Premierenpublikum.
KURIER-Wertung: 3,5 Sterne
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