Blue Valentine: Das Scheitern am Ehealltag
In einem brillant besetzten und hoch akklamierten Drama scheitern Michelle Williams und
Ryan Gosling am Ehealltag.
Das Haustier ist tot, vom Auto überfahren. "Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst das Tor abschließen", sagt der Ehemann zu seiner weinenden Ehefrau. Doch es sind gerade die kleinen Unachtsamkeiten des Alltags, die nicht nur Hunde töten können - sondern auch Beziehungen.
Das Ende einer Ehe erzählt Regisseur Derek Cianfrance in seinem hoch akklamierten Drama in Starbesetzung als Porträt eines langsamen Liebestods. Zwei brillante Schauspieler - die zart gesichtige
Michelle Williams und ein energetischer Ryan Gosling - schleppen sich durch ihren Familienalltag mit Kind. Auf den ersten Blick scheint eigentlich alles der Normalität verpflichtet, doch der Tod des Hundes löst eine Irritation aus, die sich offensichtlich schon lange angekündigt hat.
Ein Wochenendtrip ohne Kind, in einem Hotelzimmer mit dem vielversprechenden Namen "die Zukunft" soll neue Energie in den erlahmenden Ehealltag pumpen. Eng schmiegt sich die Kamera an die Leiber der Schauspieler, suchend durchforscht sie das abgewandte Gesicht von Michelle Williams und kehrt dann ratlos wieder zu Gosling zurück. Denn dieser steht eindeutig im emotionalen Zentrum der Geschichte: wild kämpft er um seine Ehe und tänzelt wie ein Boxer um die mehr und mehr zurückweichende Frau.
Um die Liebesschäbigkeit der Gegenwart zu verdeutlichen, schiebt der Regisseur lange Rückblenden ein, in denen er von dem Beginn der Love-Story erzählt. Mit Hang zur Überdeutlichkeit und zur Konvention kontrastiert der Regisseur den strahlenden Beginn einer Liebe mit den Desillusionen der Langzeitbeziehung. In den Rückblenden dürfen Gosling und Williams wieder wie echte Hollywood-Stars aussehen - glamourös und unschlagbar. Dabei wäre doch gerade ihre abgewetzte Alltagsversion durchgehend die bei Weitem interessantere gewesen: Gosling mit seinem schütteren Haar und dem Hang zum Intimitätsterror, Williams in ihrem schlampigen T-Shirt und dem faden Gesichtsausdruck der unzufriedenen Ehefrau - das alles hätte völlig ausgereicht für einen großartigen Parcours der Liebeszermürbung in den Niederungen des Beziehungsalltags.
Alexandra Seibel
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: DRAMA, USA 2010. 112 Min. Von Derek Cianfrance. Mit Ryan Gosling.
"Eine dunkle Begierde": Im Abgrund der gesprochenen Worte
Worte fallen wie Schwerthiebe: Nach langem, innigen Briefwechsel beendet Freud seine Freundschaft mit dem Kollegen C. G. Jung. "Mit den Folgen Ihres Briefes werden Sie selber leben müssen", repliziert Jung gekränkt an seinen Mentor. Jung selbst verstrickt sich in den psychoanalytischen Gesprächen mit seiner Patientin Sabina Spielrein immer mehr in ein dichtes Netz aus Begehren und Schuld. Jung unterhält eine Affäre mit Spielrein und versucht später, diesen unprofessionellen Übergriff vor Freud zu verheimlichen. Spielrein fühlt sich verraten und verlangt Aufklärung - und schließlich zieht sich auch Freud zurück.
In klaren, aufgeräumten Bildern und mit der Präzision eines Juweliers erzählt Meisterregisseur David Cronenberg von den Anfängen der Psychoanalyse und den Abgründen der Gesprächstherapie. Den Schweizer Analytiker C. G. Jung inszeniert Cronenberg im lichten Ambiente einer wohligen Bürgerlichkeit, vor deren abgefedertem Hintergrund sich die düsteren Szenarien psychischer Abhängigkeiten umso quälender abzeichnen. Immer wieder dringt der Horror in die sonnigen Landschaften ein und legt die Gefährlichkeiten der gesprochenen Worte frei. Schmerzlich schön.
Alexandra Seibel
KURIER-Wertung: ***** von *****
INFO: DRAMA, C/D 2011. 99 Min. Von David Cronenberg. Mit Keira Knightley, Michael Fassbender.
"Anonymus": Shakespeare im Spektakel-Kino
Anstatt, wie man es von ihm gewohnt ist, ganze Weltenteile wegzusprengen, baut Roland
Emmerich diesmal auf: das London des elisabethanischen Zeitalters, zum Beispiel, wurde in ehrgeizigen Computeranimationen wiedererrichtet (und sieht dabei sehr computergeneriert aus).
Auch beim Ausstattungswahnsinn wurden keine Kosten gescheut: Die blaublütige Damen und Herren rascheln in einer unglaublichen Fülle an Gewändern durch die Gänge und basteln begeistert an ihren Palast-Intrigen. Dabei spielt sich das superbe Ensemble mit sichtlicher Freude, aber völlig ironiebefreit, durch die abstrusesten Drehbuchwendungen. Rhys Ifans als gealterter Edward De Vere verbreitet edles Pathos mit somnambulen Blicken, während Jamie Campbell Bower als junger Edward mit pubertärem Eifer ins Bett der Königin springt. Überhaupt die Königin: Mutter und Tochter - Vanessa Redgrave und Joely Richardson - machen aus Elizabeth eine schrullige alte und eine dezent nymphomanische junge, in jedem Fall unterhaltsame Königin.
Einzig das Volk bleibt betrunkener Pöbel, dem man schnell etwas einreden kann. Dementsprechend würdelos ist jener liederliche Schauspieler (Rafe Spall), der sich als Shakespeare ausgibt, um den Grafen von Oxford zu schützen. Gewöhnungsbedürftig auch die vielfachen Rückblenden innerhalb der Rückblenden, in denen gerade noch alte Menschen plötzlich jung sind und ein Ausmaß an Intrigen entfesseln, denen man kaum noch folgen kann (Stichwort: Inzest!). Trotzdem: Emmerich ringt seinem Stoff maximalen Unterhaltungswert ab, fackelt forsch das Globe Theater ab - und macht aus Theaterzauber effektvolles Spektakel-Kino.
Alexandra Seibel
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: DRAMA, GB/D 2011. 130 Min. Von Roland Emmerich. Mit Rhys Ifans.
"Der König der Löwen 3-D" - Klassiker, der immer berührt
Die rührende, aufregende, traurige und fröhliche Disney-Geschichte vom Erwachsenwerden des kleinen Löwen Simba ist schon 17 Jahre alt. Jetzt ist sie wieder auf der großen Leinwand zu sehen - ganz zeitgemäß in 3-D.
Wobei die technologischen Eingriffe ins Original erfreulicherweise nicht in Holzhammer-Manier erfolgt sind, sondern behutsam. Wohlüberlegt kommt hier 3-D als Verstärkung von Handlungselementen zum Einsatz. Unverändert geblieben: der hoch professionelle Soundtrack (Hans Zimmer) und Elton Johns immergrüner Ohrwurm "Can You Feel The Love Tonight", für den eigens die Liebesgeschichte von Simba und Nala in die Handlung eingebaut wurde.
Luise Hahn
KURIER-Wertung: ***** von *****
INFO: ANIMATION ,
USA 2011, 88 Min.
Von Roger Allers und Rob Minkoff.
"What A Man" - Schlagobers im Dekolleté
Mann, ist das lustig, ey: Da spuckt das Weichei Alex ein Stück Schokokeks in den Ausschnitt einer hübschen jungen Dame. Sie sprüht Schlagobers auf den Essensrest. "Na los", sagt sie. Er will die süße Verführung abschlecken, sie sprüht und sprüht immer mehr Schlagobers. Bis er keine Luft kriegt.
Das Humorlevel beim Regieerstling des deutschen Schauspielers Matthias Schweighöfer liegt tief. Am originellsten ist noch Mavie Hörbiger als zickige Freundin von Alex - sie wirkt in dieser Rolle ziemlich authentisch. Auch Thomas Kretschmann als doofer Sexmacho ist perfekt besetzt. Ansonsten: Was für ein Käse. - S. Lintl
KURIER-Wertung: ** von *****
INFO: KOMÖDIE, D 2011. 95 Min. Von und mit Matthias Schweighöfer.
KINO IN KÜRZE
"Krieg der Götter"
Übersteuertes und blutrünstiges Action-Spektakel aus dem Computer mit halb nackten Kriegern aus dem alten Griechenland: der brummende Mickey Rourke als sadistischer König mit Stiermaske schießt den Vogel ab. So jenseitig, dass es lustig ist. - as
KURIER-Wertung: ** von *****
"I'm still here"
Joaquin Phoenix beim Saufen, Kiffen und Leute demütigen: Was immer er tut, die
Kamera dokumentiert den Alltag eines Schauspielers, der Rapper werden möchte. Gestellt oder echt - in Casey Afflecks Film kommt Phoenix in jedem Fall als mieser Typ rüber. - as
KURIER-Wertung: *** von *****
"Taste the Waste"
50 Prozent aller Lebensmittel werden in westlichen Industrieländern weggeworfen. Valentin Thurn dokumentiert diesen Missstand mit teils drastischen Bildern: So verheizt ein deutscher Bäcker sein überschüssiges Brot, um Energiekosten zu sparen. - SL
KURIER-Wertung: *** von *****
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