Einen Tag, bevor Billy Strings in einer Halle am Münchner Stadtrand ein heftig bejubeltes Konzert spielte, rief er seinen Vater an. Aber nicht, um ihm zu sagen, dass man ihn mit Drogen erwischt und zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe verdonnert hatte: Dieses Szenario war Inhalt des Songs „Dust in A Baggie“, eines der ersten Hits des heute 31-Jährigen, gewesen.
Nein: Billy Strings, der Gitarrenheld einer neuen Generation, wollte seinen Vater informieren, dass das gemeinsam aufgenommene Vater-Sohn-Album „Me / And / Dad“ für den Musikpreis Grammy nominiert ist. Für Strings, der bürgerlich William Apostol heißt, ist es nur eine von drei Nominierungen der laufenden Grammy-Saison: Eine weitere erhielt er für „California Sober“, ein Duett mit Country-Legende Willie Nelson, noch eine für „High Note“, ein Duett mit dem Mainstream-Country-Star Dierks Bentley. Strings selbst postete neulich stolz, dass ihn die Prog-Metal-Band Tool bei einem Konzert auf die Bühne geholt hatte.
Integrationsfigur
Alle, so scheint es, wollen seit einiger Zeit mit dem heftig tätowierten Gitarrenvirtuosen kollaborieren: Denn Billy Strings schließt avancierten Rock mit Country und Bluegrass kurz – und legt einer gern mit Hinterwäldler-Klischees behafteten Musik, deren Fangemeinde lange aus weißen Männern fortgeschrittenen Alters zu bestehen schien, die Rutsche zu einem jungen Publikum.
Auch in der Münchner Theaterfabrik – der Saal fasst rund 1.400 Menschen und damit ein Zehntel der „John Paul Jones Arena“ in South Carolina, die Strings im Februar dieses Jahres zweimal hintereinander gefüllt hatte – sah man am Sonntag mehr Hipsterbärte und Trucker-Kappen als Cowboyhüte (obwohl es auch diese gab).
Die Menge konnte zu dem Sound, den der mit markanter Stimme singende Musiker mit seiner präzise eingespielten Band zu einer bewegten Lichtshow servierte, heftig abtanzen und in Trance verfallen. Denn vom Bluegrass, jener rhythmisch treibenden Musik, die normalerweise in der Besetzung mit Gitarre, Kontrabass, Banjo, Mandoline und Violine entsteht, wechselt Billy Strings nahtlos in psychedelische Rock-Explorationen, die gern einmal 15 Minuten dauern dürfen. Mit Verzerrer und Effekten lässt er seine elektrifizierte Akustikgitarre singen – um im nächsten Moment wieder einen jener tänzelnden Bluegrass-Standards anzustimmen, den er mit seinem Vater für das jüngste Album aufnahm.
Wunderkind
Strings, der früh als Gitarren-Wunderkind auffiel, bezeichnet das gemeinsame Musizieren mit seinem „Dad“ Terry Barber immer wieder als Basis seiner Karriere. Wobei Barber eigentlich sein Ziehvater ist: Der leibliche Vater war an einer Heroin-Überdosis gestorben, der junge William wuchs in einem Kaff in Michigan in ärmlichen Verhältnissen auf. Die zerstörerische Welle der Droge Crystal Meth in den ländlichen Gebieten der USA – es ist der „Staub im Sackerl“, von dem der Song „Dust in a Baggie“ handelt – bekam das Musiktalent unmittelbar mit. Doch anders als viele Altersgenossen schaffte er es, eben nicht im Gefängnis zu landen.
In mancher Hinsicht wiederholt Billy Strings zeitlose Themen der amerikanischen Musik: Der Kampf gegen zerstörerische „Dämonen“ und die Gefahr des Abgleitens sind Dauerthemen im Blues und der Country Music, der „Country Boy“, der durch sein Musiktalent den Umständen entflieht, hat Ahnen bei Robert Johnson und Chuck Berrys „Johnny B. Goode“. Die musikalischen Tauchgänge in psychedelische Gegenwelten stehen wiederum in der Tradition sogenannter Jam-Bands, die sich nach Vorbild der „Grateful Dead“ auf nie enden wollenden Tourneen befinden.
Für Billy Strings wird die aktuelle Europatournee am Sonntag im britischen Birmingham enden, die Setlist wird wieder eine andere sein als am Abend zuvor. Wer am Sonntag in München dabei war, wünscht sich diese Band bald wieder zurück.
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