Beyoncé auf Tour: Das Kirchenmädchen feiert die Befreiung
Mit der „Renaissance“-Show zeigt der 41-Jährige Superstar, wie gut ihr die künstlerische Selbstbestimmung tut
01.06.23, 19:34
So mancher Tourist auf der Oxford-Street in London wundert sich dieser Tage: Woher kommen all die Frauen in silber- und weiß-glitzernden Hotpants und Miniröcken, die das Outfit mit rosa Cowboyhüten abrunden?
Die freilich denken nur daran, wohin sie am Abend gehen: Zu Beyoncé! Die Queen des Pop hat ihr jüngstes Album „Renaissance“ mit Fotos und Artwork im „Cowboy trifft Discokugel“-Look in Szene gesetzt und gastiert jetzt in der Stadt. Im Tottenham-Hotspur-Stadium tritt sie vor 60.000 Fans auf – wegen der Nachfrage fünf Mal hintereinander.
Als bekennende Perfektionistin hat Beyoncé die „Renaissance“-Show visuell opulent gestaltet. Es ist eine Inszenierung in sieben Akten, getragen von einer monströsen LED-Wand, die sich quer über die Bühne zieht, mit einem kreisrunden Tor in der Mitte. Dazu gibt es soviel funkelnden Glitzer, dass die Band, die auf silbernen Podesten hinter dem Tor agiert und in silbernen Outfits steckt, nur schwer zu erkennen ist.
Aber sie ist zu hören. Und das zeichnet Beyoncé seit jeher aus: Sie lässt es nicht zu, dass das Optische die Musik dominiert. Wo viele Kolleginnen zu Backing-Tracks den Mund bewegen, um es beim Tanzen leichter zu haben, singt sie jeden Ton live.
Gleich zu Beginn im Opening Act stellt sie mit Balladen wie „Flaws And All“ und „Dangerously In Love“, einem Song der Girlband Destinys Child, mit der die Amerikanerin einst begann, ihre soulige Powerstimme für 20 Minuten in den Mittelpunkt und schließt mit einer getragenen, traurigen Version vom Tina- Turner-Klassiker „River Deep Mountain High“, um der kürzlich verstorbenen Ikone ein Denkmal zu setzen.
Auch später im Programm, das Songs aus jeder Karrierephase umfasst, stehen die Musik und das Vokal-Talent der 41-Jährigen im Fokus. Die Band darf mal jazzig, mal rockig improvisieren. Es gibt funkige Passagen und Gospel-Einschübe, meistens aber den typischen Beyoncé-Pop, der fast gerappte Textpassagen mit kurzen souligen Melodie-Phrasen kombiniert.
Die Show ist der Rahmen dafür. Und der ist voll mit futuristischen Images und teils selbstironischer Symbolik. Beyoncé – Queen Bey genannt (ausgesprochen „Bee“) – tritt im Bienenkostüm auf. Sie tanzt mit Robotern, kommt im Mondfahrzeug auf die Bühne, reitet auf einer funkelnden Pferdefigur und rekelt sich in einer Szene, die an Botticellis „Die Geburt der Venus“ erinnert, in einer Muschel.
Die Showteile widmen sich der Mutterschaft, der Opulenz oder der LGBT-Community, weil Beyoncé das „Renaissance“-Album ihrem verstorbenen Onkel Johnny gewidmet hat, der schwul und HIV-positiv war. „Es geht in dieser Show um die Liebe und das Feiern des Lebens, darum, loszulassen und Spaß zu haben“, sagt sie eingangs.
Ein Schlüsselsong dabei ist „Church Girl“, ein Song von „Renaissance“. Dabei werken die über 20 Tänzer und Tänzerinnen und auch Beyoncé selbst genauso lustvoll wie zwanglos. Er soll postulieren, dass sie keinen Widerspruch mehr darin sieht, ein „Kirchenmädchen“ zu sein und trotzdem selbstbestimmt und lustbetont zu agieren.
Das zeigt auch die erstaunliche Entwicklung, die diese Künstlerin durchgemacht hat. Als talentierte Tochter einer gottesfürchtigen Mittelklasse-Familie schoss sie in jungen Jahren unter dem Management des Vaters mit Destinys Child an die Spitze der Charts und wurde später als Solistin zum Superstar. Nachdem sie sich beruflich vom Vater losgesagt hatte, wurde ihre Musik in der Selbstbestimmung experimenteller und im Image freier und frivoler.
„Ich war der umsichtigste professionellste Teenager“, sagte sie dazu in einem Interview mit Harper’s Bazaar. „Ich habe meine Schuldigkeit getan und mich über ganze Dekaden an jede Regel gehalten. Aber jetzt kann ich die Regeln brechen, die gebrochen werden müssen. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass ich fortfahren kann, all das zu tun, was alle glauben, dass ich nicht tun kann.“
Kommentare