"Beginners": Daddy ist schwul und cool

"Beginners": Daddy ist schwul und cool
Die "Beginners" outen sich spät + In "Vier Leben" werden Ziegen gefilmt + Till Schweiger gibt in "Männerherzen 2" Sextipps + "Bulb Fiction" prangert die Glühbirnenwirtschaft an

Mike Mills, Hoffnung des US-Autorenkinos , hat einen semi-biografischen Film
gemacht. Darin outet sich sein Vater (Christopher Plummer) im Alter von 75 Jahren.

Kein Zweifel, Regisseur Mike Mills ist ein Ästhet. Er, Grafikdesigner im Brotberuf, will, dass in diesem Film alles schön aussieht:
die Frauen (echt bezaubernd: Melanie Laurent, zuletzt Kinobesitzerin in Tarantinos "Inglourious Basterds"),
die Kleider der Frauen (welch umwerfend stylisher Morgenmantel!),
die Autos (ein weißer 80er-Jahre-Mercedes),
die hippe 60er-Jahre-Lampe im Wohnzimmer,
der Vater (Christopher Plummer, der immer älter und immer schöner wird).

Dann tapeziert Mike Mills all die schönen Fassaden mit schöner Traurigkeit. Und auch das macht er, man muss es zugeben, eigenwillig gut.

Aber - leider ein Aber

Es dauert lange, zu lange, bis man dieser Traurigkeit im Film nicht nur zusehen, sondern sie auch selbst empfinden kann. Erst das Ende des Films, es belohnt einen.

Am Anfang steht große Leblosigkeit. Der Vaters ist gerade gestorben. Der Sohn Oliver (Ewan McGregor als Alter ego von Regisseur Mills) räumt die Wohnung aus und erinnert sich in Rückblenden daran, wie vor fünf Jahren, nach dem Tod der Mutter, der Vater sein Coming-out hatte. Nach 44 Jahren Ehe gibt er endlich zu, schwul zu sein. Hat er bei seinem Outing einen lila Sweater getragen? Der Sohn könnte schwören. Oder doch ein braunes Leiberl?

Der trauernde Sohn macht weiter, wie bisher: als Grafikdesigner einer "History of Sadness", der Geschichte von Traurigkeit. Bei einer Faschingsparty lernt er eine Französin kennen, die (wegen einer Laryngitis) zwar nicht sprechen darf, sich aber absehbar in ihn verlieben wird.
Denn ja, um die Liebe geht es hier. Die Liebe zwischen Mann und Mann, zwischen Hund und Mensch, zwischen Vater und Sohn. Und dass man im Leben wohl immer wieder ein "Beginner" ist.

Der Film changiert - kühn, aber funktionierend - zwischen den Zeitebenen: mal Szenen aus der Gegenwart, mal Erinnerungen mit dem Vater, dann wieder Bilder der einsamen Mutter (hervorragend cool: Mary Page Keller).

Dazwischen zeigt Mills Montagen, in denen sich alte Postkarten und Fotografien, persönliche Geschichte und öffentliche Historie mischen So hat sie damals ausgehen: die Welt, das Unglück und das Glück; wie ein Bikini der 50er- Jahre, wie Bush oder Hitler; wie ein Filmkuss oder Soldaten in Schützengräben oder die Regenbogenfahne.

Mike Mills, Hoffnungsträger des US-Kinos, hat Grafiken (für Marc Jacobs) oder Musikvideos (für Air, Beasty Boys oder Sonic Youth) gemacht und nicht, dass er dies verbergen könnte. In seinem Ehrgeiz, alles schön und perfekt zu erzählen,erzeugt er lange Leblosigkeit. Erst weit nach der Hälfte stellt sich bei "Beginners", Mills zweitem Film nach "Thumbsucker", so etwas wie Rührung ein:
mit einem Kind, das von der Mutter im Spiel immer wieder erschossen wird,
mit einem Vater, der einst heiratete, weil Schwulsein noch als Krankheit galt,
mit einem Sohn, der kaum ertragen kann, dass sein Vater einen
jungen Mann vielleicht mehr liebt als ihn,
mit einem denkenden Hund, der tatsächlich in Untertiteln sprechen darf.

"Das ist kein Feel-Good-Movie", sondern ein ,Feel-Sad-Movie'", sagt eine junge Kollegin nach dem Film. Stimmt. Aber ein Feel-Sad-Movie, in dem man sich am Ende irgendwie gut fühlt. - Veronika Franz

KURIER-Wertung: **** von *****

INFO: DRAMA, USA 2011. 105 Min. Von Mike Mills. Mit Ewan McGregor, Christopher Plummer, Melanie Laurent.

"Vier Leben" - Die Ziege spielt besser als die Tanne

"Jeder Regisseur sollte einmal eine Ziege filmen", findet Regisseur Michelangelo Frammartino. Und ja, da hat er vielleicht sogar recht.

Der Italiener hat dies in seinem zweiten Film "Vier Leben" jedenfalls ausgiebig getan und musste dabei feststellen, dass sich die ausdrucksstarke Mimik von Ziegen zwar hervorragend für nachdenkliche Großaufnahmen und lustige Actionszenen eignen, die Spezies aber ebenso wenig auf Regieanweisungen hört wie ein Esel. Letzterer oder besser: Der ergreifende Esel-Film von Robert Bresson "Au hasard Baltazar" (1966) hat Frammartino zu seinem kühnen, wortlosen Film inspiriert, der sich darüber hinaus auf die Philosophie von Pythagoras beruft. Der hat nämlich seine Vorstellung von Seelenwanderung und den vier Daseinsformen (menschlich, tierisch, pflanzlich, mineralisch) angeblich im heutigen Kalabrien gelehrt.

Frammartino, kommt seinerseits auch aus dieser Gegend und erzählt seine Reinkarnationsgeschichte anhand eines einsamen Hirten, der in einem kalabrischen Dorf lebt und stirbt und seelisch in eine junge Ziege übergeht. Tanne und Kohle folgen. Wobei Letztere nicht ganz so dankbare Darsteller sind wie die munteren Ziegen (aus deren Perspektive einige Zeit lang erzählt wird) Zum Glück für alle vermeidet der Film bei aller Sympathie zu Tieren die sentimentale Vermenschlichung derselben. - V. Franz

KURIER-Wertung: ****
von *****

INFO: DRAMA, It 2010. 88 Minuten. Von Michelangelo Frammartino.

"Männerherzen 2" - Niemals schlecken wie ein Frosch

Die Filmgeschichte lehrt, dass die Fortsetzung einer erfolgreichen Komödie meist schlechter ist als Teil 1. Das ist hier NICHT der Fall.

Inszeniert und geschrieben von Simon Verhoeven, Sohn von Senta Berger, ist "Männerherzen 2" rund um fünf deutsche Männer genauso leichtherzig und charmant wie Nummer 1. Nur der zuletzt so liebenswerte Justus von Dohnanyi als alternder, schwuler Schlagersänger übertreibt schamlos. Til Schweiger tritt dafür umwerfend selbstironisch auf. Reitet auf lächerlich kleinen Ponys, zieht zu seinen Eltern zurück: Zum Wurstbrot der Mama und Fischen mit Papa. "Richte die dritte Angel her. Wir gehen auf Wurm." Am allerlustigsten von allen ist aber Christian Ulmen, der den verklemmten Buchhalter gibt und ununterbrochen Sex-Tipps von Til Schweiger braucht: "Er soll nicht züngeln wie eine Eidechse oder schlecken wie ein Frosch -, sondern beißen wie ein Tiger." Grrrrrr. Das geht nicht gut aus. Amüsante TV-Hauptabend-Komödie. - V.Franz

KURIER-Wertung: ***
* von *****

INFO: KOMÖDIE, D 2011, Von Simon Verhoeven. Mit Til Schweiger, Alexandra Maria Lara.

"Mein Stück vom Kuchen" - Börsenhai zu sein ist auch nicht leicht

Huch, da war doch noch was! Ach ja, der kleine Sohn Stéphanes, des Börsenhais: Die Ex gibt den Buben an der Tür der Yuppie-Wohnung ab. Aufpassen auf ihn muss dann Putzfrau France - Männer wie Stéphane haben anderes zu tun.

Firmen abwickeln, zum Beispiel. Und daraus Profit schlagen. Wie bei der alten Firma von France, die auch entlassen wurde.

Cédric Klapisch, der Regiespezialist für kleine Leute, lässt in seinem amüsanten Du-oben-ich-unten-Report die Welt der eiskalten Spekulanten und jene der Wohlstandsverlierer, der entlassenen Arbeiter, aufeinanderprallen. Lässt sie kurz verschmelzen (France hat einen One-Night-Stand mit ihrem Arbeitgeber), um dann wieder die "natürliche" Ordnung herzustellen: Am Ende muss der Yuppie für seine Skrupellosigkeit büßen. Den Moral-Zeigefinger hätte sich Klapisch sparen können, sonst ist der Film - vor allem wegen "France" Karin Viard - sehenswert. - Susanne Lintl

KURIER-Wertung: **** von *****

INFO: GESELLSCHAFTSKOMÖDIE, F 2011. 109 Min. Von Cédric Klapisch. Mit Karin Viard, Gilles Lellouche

"Colombiana" - Eine Blume, die tötet

"Erwarte immer das Unerwartete", heißt es einmal im Film. Aber nein, das sollte man hier echt nicht tun. Als Regisseur steht Olivier Megaton im Nachspann. Aber die Kraft dahinter (und auch der Drehbuchautor) ist hier Luc Besson, Regisseur von wunderbaren Actionfilmen wie "Leon, der Profi" oder "Nikita". Seit Längerem schon inszeniert Besson nicht mehr, sondern produziert erfolgreich simplere Stoffe wie die "Transporter"-Serie. Und manchmal wirkt das so, als würde er eine Idee schnell auf eine Serviette schreiben, damit einer seiner französischen Protegés einen Film drum heruminszenieren kann. Seine jüngste Actionfigur heißt Cataleya (wie eine seltene Blume) und ist neun Jahre alt, als ihre Eltern vor ihren Augen ermordet werden. Deshalb wird sie Profikillerin. Man sieht schon, die Idee zu "Colombiana" ist nicht rasend originell. Aber es ist ein dienlicher Actionfilm mit "Avatar"-Zoe Saldana. Sie beeindruckt nicht nur, weil sie aussieht wie Rihanna, sondern auch weil sie so wunderbar durch Luftschächte klettern kann . - V. Franz

KURIER-Wertung: ***
von *****

INFO: ACTION, USA/F. 107 Min. Von Olivier Megaton. Mit Zoe Saldana.

"Bulb Fiction" - Das Grauen der Glühbirne

Thomas A. Edison rotiert wohl im Grab: Das Aussterben der Glühbirne naht, ersetzt durch eine Energiesparlampe. Nein!

Christoph Mayrs Glühbirnen-Doku kann sich nicht zwischen reißerisch- aufdeckerischem Polit-Thriller und "Sendung mit der Maus" entscheiden. Lobbyisten-Machenschaften und Brüssel als Art Oberganove stehen unter Generalverdacht, während ein Zeichentrick-Professor die Auswirkungen des gefährlichen Quecksilber in den Lampen erklärt. Schlussendlich ist man ratlos: Läuten nun Energiesparlampen den Untergang des Abendlandes ein oder handelt es sich doch nur eine Energiepolitik-Reform. - Victoria Schopf

KURIER-Wertung: *** von *****

INFO: Dokumentation, A 2011. 90 Min. Von Christoph Mayr.

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