"Kallirhoe“ an der Staatsoper: Die Rückkehr des Handlungsballetts

Zusammenfassung
- Alessandra Ferris Einstand als Ballettdirektorin der Wiener Staatsoper setzt auf klassisch verwurzeltes Handlungsballett mit hochkarätigem Ensemble.
- Alexei Ratmanskys „Kallirhoe“ überzeugt durch abwechslungsreiche Choreografie, starke Charakterisierung und Musik von Aram Chatschaturjan, inklusive Anspielungen auf sowjetrussische Ästhetik.
- Die Liebesgeschichte um Kallirhoe und Chaireas beeindruckt mit tänzerischer Exzellenz, antik inspiriertem Bühnenbild und einem offenen Ende.
Von Silvia Kargl
Der Einstand der neuen Ballettdirektorin des Wiener Staatsballetts Alessandra Ferri in der Staatsoper zeigt, in welche Richtung die Zukunft der Compagnie führt: Ballett auf höchstem Niveau, viele hervorragende neu engagierte Tänzerinnen und Tänzer sowie Choreografien, die im klassischen Ballettvokabular verwurzelt sind.
Für all das steht Alexei Ratmanskys Ballett in zwei Akten „Kallirhoe“ nach dem antiken Liebesroman von Chariton von Aphrodisias. Eine durch individuelle Choreografien gut nachzufolgende Charakterisierung der Hauptrollen und viele Szenenwechsel sorgen für Abwechslung. Details ermöglichen aktuelle Interpretationen der Handlung.

Dazu wählte Ratmansky Musik von Aram Chatschaturjan, verbunden mit anderen, atmosphärisch ruhigeren Werken des Komponisten. Dass Ratmansky dessen von sowjetrussischer Ballettästhetik geprägtes Ballett „Gayaneh“ neu erzählt, ist ein weiteres Glanzlicht dieser europäischen Erstaufführung an der Staatsoper.
Ratmansky zitiert diese Ästhetik im in rotes Licht getauchten berühmten „Säbeltanz“ in einem Männerkampf, was als Seitenhieb nicht zuletzt auf in Russland entstandene Propagandachoreografien verstanden werden kann.
Erfahren
Mit Paul Connelly steht ein erfahrener Ballettdirigent am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper, der die Klangfarben wie auch die Kontraste in der Musik stets mit Blick auf die Bühne unterstreicht.
Die Handlung kreist um Kallirhoe, im Ballett „die schönste Frau der Welt“, und Chaireas. Von Anfang an wird ihre Liebe auf die Probe gestellt, gibt es viel Neid und Machtkämpfe unter den Männern, die Kallirhoe besitzen wollen. Der vermeintliche Tod Kallirhoes und die zuvor liegende Verlobung erinnern an Shakespeares „Romeo und Julia“, Intrigen an weitere Stücke aus dem Shakespearschen Kosmos. Das geschmackvolle Bühnenbild, das schnelle Schauplatzwechsel mit Zeitsprüngen ermöglicht, und die Kostüme schuf Jean-Marc Puissant nach Motiven aus der Antike.

Tänzerisch überragend ist der Hausdebütant Victor Caixeta als Chaireas nicht zuletzt mit spektakulären Sprüngen und als sicherer Partner in den Pas de deux. Madison Young ist eine zugleich lyrische und kraftvolle Kallirhoe, überzeugt in den unterschiedlichen Pas de deux, die sie mit verschiedenen Partnern zu tanzen hat. Auch der vom Hamburg Ballett engagierte Alessandro Frolla feiert als Dionysos, Adeliger aus Milet, einen gelungenen Einstand. Für das hohe Niveau des Wiener Staatsballetts in den letzten Jahren spricht nicht zuletzt, dass Tänzerinnen und Tänzer, die schon länger in Wien sind, mithalten können. Timoor Afshar ist Mithridates, ein machthungriger Statthalter von Karien, Ionna Avraam die glänzende Königin von Babylon.
Am Ende finden Kallirhoe und Chaireas nach der Überwindung unzähliger Hindernisse und menschengemachter Schwierigkeiten zusammen. Ob es ein „Happy End“ ist, sei dahingestellt. Auf beide und ihren Sohn wartet in einem Trümmerfeld wohl keine unbeschwerte Zukunft.
Kommentare