Bachmannpreis: Noch kein Favorit in Sicht

Bachmannpreis: Noch kein Favorit in Sicht
Klagenfurt: Tag eins des Ingeborg-Bachmann-Preis stand im Zeichen der zersplitterten Identitäten. Lob gab es für Andreas Stichmanns "Der Einsteiger"

Der erste Wettbewerbstag bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur im Klagenfurter ORF-Theater stand - der Auslosung geschuldet - ganz im Zeichen der zersplitterten Identitäten. Gleich drei Autorinnen und Autoren beschäftigten das Publikum mit literarischen Vexierspielen, Mirjam Richner, Sabine Hassinger und Andreas Stichmann. Zuvor musste der gebürtige Kärntner Hugo Ramnek für seine am Bleiburger Wiesenmarkt spielende Erzählung viel Kritik einstecken. Mehr Lob erntete Stefan Moster, der den Auftakt gemacht hatte.

Mosters "Der Hund von Saloniki", der eine Rückblende in die Jugend des Protagonisten und dessen schmerzhafte Begegnung mit einem Hund thematisiert, war für Juror Hubert Winkels eine "Meditation über das Erinnern und Vergessen". Die gewählte Sprache des Erzählers wurde allgemein gelobt, es gab aber auch Kritik. So bezeichnete Paul Jandl die Geschichte als "motivische Auslegeware".

Hugo Ramnek musste viel Kritik einstecken

Eher weniger erfreut waren die sieben Jurymitglieder von Hugo Ramneks "Kettenkarussell". Ramnek beschreibt ein Wiesenmarkt-Wochenende in Bleiburg und die Verwirrungen und Begierden eines pubertierenden Jugendlichen, der ein Auge auf ein Mädchen geworfen hat. Diese gehört allerdings zur slowenischen Volksgruppe. Ohne sie in den Mittelpunkt zu stellen, beschreibt Ramnek die Trennlinien zwischen den Volksgruppen mit. Seine metaphorische Sprache erntete aber auch Kritik. Daniela Strigl konstatierte eine "literarische Grenzerfahrung" in mehrfachem Sinne. Der Autor setze die Bewegung des Jahrmarktes sehr gut in Sprache um. Das Symbolische sei aber eine Belastung für den Text. Juryvorsitzender Burkhard Spinnen konstatierte: "Dieser Text kommt daher wie eine Marching Brass Band." Hildegard Keller betonte, der Text habe einen großen Atem.

"Bettlägerige Geheimnisse" einer - oder zweier - Figuren von Mirjam Richner wurde eher kritisch aufgenommen. "Die Figur ist zumindest am Rande des Wahnsinns", befand Jandl. Corinna Caduff kritisierte, es sei ein wenig "Hanni und Nanni Style" mit zu beliebigen Sprachbildern. Meike Feßmann wunderte sich, dass man den Text realistisch lesen könne, denn er sei "selbstverständlich surreal". Strigl und Jandl waren wenig angetan.

Lob für "Der Einsteiger" von Andreas Stichmann

Besser schnitt der Romanauszug "Der Einsteiger" von Andreas Stichmann ab. Die traumorientierte "Apotheose einer bürgerlichen Kleinfamilie" über einen jungen Mann am Rande der Gesellschaft, der sich in eine bürgerliche Existenz hineinträumt, erhielt viel Lob der Jury, ungeteilt waren die Meinungen aber nicht. Jandl sah ihn "schön und stimmig", Keller wiederum konnte mit dem Protagonisten nicht richtig warm werden, Spinnen ortete einen vampiristischen Text.

Heftige Debatten löste zum Abschluss das experimentell angelegte "Die Taten und Laute des Tages" von Sabine Hassinger aus. Strigl sah in dem Spiel mit wechselnden Identitäten und dem komplizierten familiären Beziehungsgeflecht "Schönheit und Genauigkeit". Winkels hingegen zeigte sich einigermaßen "genervt", Caduff dagegen erfreut, dass ein so experimenteller Text im Wettbewerb überhaupt diskutiert werde.

So unterschiedlich die Erzählungen am ersten "Wettkampftag" auch waren, die Jury setzte sich mit allen Beiträgen engagiert und lebhaft auseinander. Ein Favorit für die Preisverleihung am Sonntag war vorerst aber nicht in Sicht. Das Wettlesen wird am Freitag fortgesetzt. Es beginnt Inger-Maria Mahlke, nach ihm sind Cornelia Travnicek, Olga Martynova, Lisa Kränzler und Simon Froehling an der Reihe.

Zur Eröffnungsrede von Ruth Klüger

Bachmannpreis: Noch kein Favorit in Sicht

Ein Plädoyer für die Dichtung, die einer Vision folgt – das war die Rede der Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger, mit der die 36.Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt eröffnet wurden. Klüger beschäftigte sich mit dem Zitat Ingeborg Bachmanns "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", um einzugestehen: Sie verstehe den Satz nicht recht, doch finde sie ihn außerordentlich.

Der erste österreichische Teilnehmer hat’s hinter sich: Der Kärntner Hugo Ramnek erzählte von einem Volksfest und musste sich sagen lassen, er schreibe "fast kitschig" bzw. habe zu viel Sex eingebaut. Die Worte waren aber weit freundlicher als bei der Schweizerin Mirjam Richner, deren Text man "Hanni-und-Nanni-Style" nachsagte.

Der Mainzer Stefan Moster erntete mit seiner Meditation nach einem Hundebiss mehr Lob. Aber erster Favorit ist der Hamburger Andrea Stichmann mit seiner Geschichte vom obdachlosen Einbrecher ("ein Faszinosum"). Interessant war auch die Kritik des Jury-Vorsitzenden Burkhard Spinnen am Jury-Mitglied Paul Jandl: Dieser gehe an Mosters Text so hart heran "wie ein stalinistischer Zollbeamter".

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