Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher
Am dritten Tag des Klagenfurter Wettlesens ernteten die letzten beiden Österreicher Leopold Federmair und Isabella Feimer mehr Kritik als Lob.

Mit den Österreichern Leopold Federmair und Isabella Feimer ist am Samstag das Wettlesen bei den 36. Tagen der deutschsprachigen Literatur zu Ende gegangen. Federmair erntete deutlich mehr Kritik als Lob. Feimer musste sich sogar harsche Kritik der Juroren gefallen lassen, bis hin zum Vorwurf der "klebrigen Sentimentalität" von Juror Paul Jandl.

In Federmairs "Aki" erzählt eine Frau über eine frühere Beziehung mit einem zehn Jahre jüngeren Burschen namens Aki. Diese fiel ihr wieder ein, als sie den ehemaligen Freund zufällig in einer Bank wiedersieht und er sie nicht erkennt. Es war eine seltsame Beziehung, man traf sich nächtens am Gang, er stets nackt und mit erigiertem Penis, sie geschafft von der Arbeit im Gasthaus. Sie hörten Musik zusammen oder musizierten selbst, dazu stahlen sie gelegentlich Geld aus dem Tresor des Gastwirtes. Irgendwann fiel die Beziehung auseinander und durch das Zufallstreffen blendet sie zurück.

Hubert Winkels nannte es eine "Coming-of-age-Geschichte", die gut gemacht sei. Meike Feßmann hielt den Text für nicht gelungen, vor allem, da die falsche Erzählperspektive gewählt worden sei. Hildegard Keller hatte sich gefragt, wozu diese Geschichte erzählt werde und wem die Figur die Geschichte erzähle. Burkhard Spinnen konstatierte, es gehe um eine traurige Existenz, es sei ein großer trauriger Text eines Mittfünfzigers über die irren Typen, die man vermisse. Daniela Strigl, die Federmair vorgeschlagen hatte, sah die Geschichte einer "verpatzten Erlösung", eine vergiftete Nostalgie. Paul Jandl befand, es sei die Geschichte eines "Spannungsabfalls", die doch etwas zu wenig Dramatik vermittle. Der Autor fotografierte während der Diskussion übrigens die Juroren.

"Hühnerkopf-Abtrennungs-Allergie"

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Feimer erzählt in "Abgetrennt" die Erinnerung an eine Beziehung. Dazu mengt die Autorin Kindheitserinnerungen beider in ihren Text. Die Frau beschreibt ihren - offenbar sehr dominanten - Partner, sehr feinfühlig, sehr liebevoll, sie kommt mit dem Alleinsein aber nicht wirklich klar. Der Partner wird zum Schatten, den sie doch nicht loswird.

"Es hätte eine sehr gute Geschichte werden können", meinte Winkels. Das Grundmotiv der Unterworfenen sei sehr gut, die Inszenierung der Dramatik der Beziehung sei gelungen, doch das Ganze sei zu stark instrumentiert. Feßmann sah die Geschichte eines "unnötigen Abschieds", einer neurotischen Frau. Für Corina Caduff, die Feimer nominiert hat, lebt der Text von "Arten der Abtrennung". Keller unterstrich die konzeptuelle Klarheit des Textes, aber die Geschichte sei nicht besonders berührend. Strigl zeigte sich nicht besonders fasziniert, zudem leide sie an einer "Hühnerkopf-Abtrennungs-Allergie" in der Literatur, wofür ihr Spinnen von Herzen dankte.

Der einarmige Sohn und seine Tochter

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Vor den beiden Österreichern begann der dritte Tag mit der Lesung von Matthias Nawrat. Er bekam für seinen Text viel Zuspruch. Nach ihm las Matthias Senkel, dessen Satire die Jury zu hitzigen Grundsatz-Debatten animierte.

In der Erzählung "Unternehmer" beschreibt Nawrat einen Mann, dessen einarmigen Sohn und seine Tochter, die sich mit dem Sammeln von Altmetall über Wasser halten, erzählt wird die Geschichte aus der Ich-Perspektive der Tochter. Der Wunschtraum der Dislozierten ist das Auswandern nach Neuseeland, wo man "nächstes Jahr" sein wird, dabei ist völlig klar, dass daraus nichts werden wird. Nawrat mischt Begriffe aus dem Wirtschaftsdeutsch in die Sprache, die seltsam deplatziert wirken, sexuelle Erfahrungen des pubertierenden Mädchens dürfen in der Geschichte nicht fehlen.

Eine "sehr merkwürdige Familie", befand Daniela Strigl, die eine Parodie auf die heile Familie sah. Die Sprache sei "leicht daneben", was einen besonderen Reiz ausmache. Paul Jandl sprach von einem "postapokalyptischen Szenario", das der Autor gezeichnet habe, der Text sei originell und gehe ans Herz. Burkhard Spinnen "hätte es gebraucht zu wissen, wie das ausgegangen wäre". Er sei nicht damit klargekommen, ob er über das Atmosphärische hinaus noch etwas finden könne. Hubert Winkels hatte das Problem, dass er die Problematik eigentlich nicht sehe, es gebe zu viel Disparates, Pseudoparabelhaftes. Hildegard Keller meinte, sie könne ihren Jury-Kollegen auf die Sprünge helfen und hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für die Erzählung. Corina Caduff gestand große Verwirrung ein. Beeindruckend fand sie die "affirmative Sprache" der Erzählerin. Eine "moderne Variante von Hänsel und Gretel", urteilte Meike Feßmann.

"Aufzeichnungen aus der Kuranstalt"

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Senkels "Aufzeichnungen aus der Kuranstalt" erzählt humorvoll-ironisch die Geschichte eines kanadischen Finanzjongleurs, der in einer Kuranstalt für "Schriftsteller in Schaffensnöten" auf den Antillen untertaucht, weil er von der Finanzmarktaufsicht gesucht wird. Er legt sich das Pseudonym "Cederic Darwin junior" zu. Dort trifft er allerlei seltsame Gestalten, die aus den verschiedensten Gründen entweder nicht mehr oder überhaupt nicht schreiben können. Als ihm die Behörden auf die Spur kommen, flüchtet er mit einem Schnellboot und veröffentlicht den Roman "Notes from the Sanatorium", der ein Erfolg wird.

Eine "kluge und witzige Erzählung", urteilte Winkels, die Sprache sei allerdings sehr starr. Feßmann vermisste den "literarischen Mehrwert", auch Caduff bekrittelte, dass das Potenzial des Textes überhaupt nicht ausgeschöpft werde. Jandl wies den Vorwurf der "sprachlichen Armut" vehement zurück. Daniela Strigl befand, es sei ein sehr intelligent gemachter Text über einen "literarischen Hypochonder". Die Satire beginne sehr rasant, verliere dann aber etwas an Fahrt. Es gebe zu viele Stoßrichtungen, meinte Keller. Spinnen meinte, er lese Texte über Schaffensnöte von Schriftstellern sehr ungern, weil ich er diesem Problem jeden Tag begegne, tue es aber natürlich doch. Er sei ihm aber ein wenig zu jongleurhaft.

Travnicek spaltet Jury

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Inger-Maria Mahlke hat am Freitag den zweiten Tag des Lesewettbewerbs um den Ingeborg-Bachmann-Preis im Klagenfurter ORF-Theater eröffnet. Ihr Romanauszug erntete großes Lob einiger Juroren. Auch Cornelia Travnicek präsentierte einen Romanauszug, die Niederösterreicherin löste hitzige Debatten aus. Den Vormittag beschloss Olga Martynova, die sich gleich einmal in Preisnähe las.

   Die Protagonistin in Mahlkes Erzählung ist allein erziehende Mutter, ihr Sohn hat einen ausgesprochenen Ordnungssinn, fast als wäre er autistisch. Die Mutter erinnert sich an die Arbeit im Backshop, bis sie von einer Freundin dazu animiert wird, als Domina gutes Geld zu verdienen. Die Erzählung endet damit, dass die Frau das verdiente Geld auf zwei Haufen teilt, einer für sie, einer für den Sohn. Ob sie ihr geplantes Verschwinden durchführt, lässt Mahlke offen.

   Die Beschreibungen blieben an der Oberfläche, konstatierte Hildegard Keller. Sie empfinde Respekt für die virtuose Beschreibung der Oberflächen, erschöpfe sich aber daran. Hubert Winkels hielt dagegen, die Übergänge der verschiedenen Welten würden wunderbar funktionieren. Corina Caduff fand es "ganz toll", dass der Text weder Moral noch Psychologie enthalte, die Ausweglosigkeit werde dadurch großartig beschrieben. Paul Jandl fand hingegen "sehr viel Moral", allerdings vielleicht etwas dick aufgetragen. Meike Feßmann kritisierte die Du-Perspektive, sie finde den Text "sprachlich öde". Burkhard Spinnen sah hingegen genau in der Du-Ansprache das "Toben", den Versuch, das Ungeheuerliche in Worte zu fassen. "Es geht um Gefühle in der strengen Kammer", stellte Daniela Strigl fest.

  

Weiterführende Links

Ein toter Hund

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

In Travniceks "Junge Hunde" betrauert die Protagonistin den Tod ihres Hundes, während ihr Vater gerade ins Altersheim übersiedelt. Von diesem Punkt aus gibt es zahlreiche Rückblenden in die Erinnerungen des Mädchens, bis hin zu einem besoffenen Ausflug bei einer Party mit dem Auto der Erwachsenen, der mit einem Unfall samt totem Reh endet. Das Reh wird im See versenkt, der Blechschaden mit einer harmlosen Erklärung versehen.

   Feßmann lobte den "warmen Pragmatismus" der Geschichte. Das "scheinbar naive Erzählen" mochte Strigl sehr gerne, es gebe gute Einfälle, die Autorin arbeite mit einfachen Mitteln, die aber funktionieren würden. Winkels, der Travnicek nominiert hatte, zeigte sich überzeugt von den "wunderbaren kleinen Handgriffen". Caduff hatte hingegen "ein Problem mit der Sprache", daran müsse die Autorin noch arbeiten. Die Sprache als Kunstraum sei nicht erschlossen, es fehle ihr der literarische Ton, das könne in ihrem Alter aber auch nicht anders sein. Jandl monierte, ihm erschließe sich nicht ganz, "wo der Hund begraben ist". Die Sprache sei "banal und simpel", tiefe Geheimnisse des Textes fand er nicht. Hildegard Keller meinte, sie könne die Einwände alle teilen, doch sie glaube, diese Leichtigkeit sei Programm, auch wenn es sie nicht "aus den Socken haut".

   "Ich werde sagen: Hi!" der aus Russland stammenden Autorin Martynova beschreibt die Situation eines Burschen, der seine Ferien bei Tante und Onkel verbringt. Die beiden sind gut situiert und für Moritz eher langweilig. Er interessiert sich für Mädchen, aber auch für das Schreiben. Der Text enthält witzige Einschübe, thematisiert die Multikulturalität und macht Ausflüge zur Bibel und zur Archäologie.

   Winkels gefiel der Text sehr gut, er habe eine Leichtigkeit, die sich aber nicht sofort erschließe. Strigl lobte den "hintersinnigen, anarchischen Witz". Feßmann sah einen "souveränen und luftigen Text". Jandl, der Martynova nominiert hatte, meinte, man erlebe "die Geburt eines Dichters durch die Erotik". Caduff lobte die Qualität der verwendeten Sprache, der Witz habe sich ihr übrigens erst durch den Vortrag erschlossen. Sie vermisse allerdings ein Konzept, manche Dinge würden auftauchen und einfach wieder verschwinden.

Viel Zuspruch für Lisa Kränzler

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

 Mit der Lesung von Lisa Kränzler wurde am Nachmittag das Wettlesen fortgesetzt. Ihr Text "Willste abhauen" war wieder einmal eine Pubertätsgeschichte. Die große Mehrheit der Juroren zeigte sich begeistert. Simon Froehlings Romanauszug überzeugte hingegen nicht so recht.

   Kränzlers Ich-Erzählerin beschreibt ihre Kindheit, von der Kindergarten-Aufführung über die Wirrungen einer Mädchenfreundschaft bis zur Rettung eines jungen Kätzchens vor einem grausamen Bauern. Sie stellt die Gefühle dar, die sich bei der beginnenden Pubertät einstellen und die ersten sexuellen Erfahrungen samt dem Thema Missbrauch.

   Burkhard Spinnen meinte, ein großer Teil der Literatur bemühe sich, in die Kindheit zurückzukommen. Er sah einen "hoch instrumentierten Versuch" in diese Richtung. Das Thema sei mit großer Souveränität vorgeführt worden, das Geheimnis, das zur Heimat Kindheit dazugehöre, bleibe aber hinter dickem Glas verborgen. Meike Feßmann las den Text als "böse Mädchengeschichte", bei der es auch um das Thema Missbrauch gehe, und zwar auf mehreren Ebenen. Corina Caduff fühlte sich gespalten, die Sprache sei sehr interessant und "absolut durchgearbeitet", auf der Ebene der Thematik habe sie aber Schwierigkeiten. Hildegard Keller fand den Versuch packend und gelungen. Daniela Strigl zeigte sich von einigen Schilderungen sehr angetan, sie sei aber nicht an allen Stellen überzeugt.

Kitsch-Verdacht

Bachmann-Preis: Kritik für die Österreicher

Simon Froehling beschreibt in seinem Romanauszug das Schicksal zweier Familien. Eine Frau stürzt beim Klettern ab und wird dabei tödlich verletzt. Der Autor lässt die Frau aus der Perspektive der bereits Gestorbenen sprechen. Sie hinterlässt einen Mann und eine kleine Tochter. Zugleich rettet sie einem jungen Mann das Leben, der wegen einer Niereninsuffizienz beinahe stirbt und eine Spenderniere braucht, und das knapp bevor er mit seiner Partnerin eine gemeinsame Wohnung beziehen will. Er überlebt, erhält die Transplantation, anschließend macht er sich auf die Suche nach der Person, der er sein Leben verdankt.

   Keller bemängelte, die Figuren seien ihr zu blass, sie hätte gerne mehr gewusst. Strigl wiederum fand, es gebe zu viele Erklärungen. Paul Jandl übte scharfe Kritik und ortete gar "Kitsch", Spinnen hingegen erklärte, er finde die Anordnung interessant und würde dem Autor gerne weiter folgen. Auch Caduff fand lobende Worte, sie freue sich immer, wenn die Literatur Diskussionsthemen von außerhalb aufgreife und nicht sich selbst genug bleibe.

Mehr zum Thema

  • Hintergrund

  • Hintergrund

  • Hauptartikel

Kommentare