Autor der beliebten Wimmelbücher: Ali Mitgutsch gestorben

Zeichnen war für ihn eine "oft auch beschwerliche, aber stets glückliche Lebensreise".

In den Wimmelbüchern von Ali Mitgutsch tobt das pralle Leben. Menschen vergnügen sich im Schwimmbad und im Zoo, sie erklimmen die Berge, ackern auf Bauernhof und Baustelle oder wohnen in einem Mietshaus Wand an Wand. Mit scharfem Blick und heiterer Ironie hat der berühmte Zeichner den Alltag mit all seinen schönen, aber auch tückischen Momenten festgehalten. Nun ist der Autor laut Süddeutscher Zeitung mit 86 Jahren gestorben.

„Das Zeichnen war für mich eine unendlich lange, oft auch beschwerliche, aber stets glückliche Lebensreise, auf die mir nur noch die Rückschau bleibt“, sagte Mitgutsch einmal der Deutschen Presse-Agentur. Rund 70 Bücher, Poster und Puzzles sind entstanden, darunter viele Wimmelbücher. Allein in Deutschland wurden mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft, im Ausland mehr als drei Millionen.

Mitgutschs erster Erfolg liegt mehr als 50 Jahre zurück: Es war das Wimmelbuch „Rundherum in meiner Stadt“, für das er 1969 den Deutschen Kinder- und Jugendliteraturpreis erhielt. Auf jeder Doppelseite entfaltet sich ein kunterbuntes Panorama: Die Baustelle, der Hafen, das Volksfest, der Schlittenhügel. Und es wimmelt von Menschen. „Er hat lange vor Instagram gezeigt, wie man nur mit Bildern kommuniziert“, schrieb mal das Onlineportal „welt.de“.

Menschliche Geschichten aus dem Alltag

Das genaue Hinschauen lohnt sich, das wissen schon Zweijährige. Denn Mitgutsch erzählt sehr menschliche Geschichten aus dem Alltag und es gibt so viel zu entdecken, mal lustig, mal traurig oder schadenfroh. Ein Mann mit einem dringenden Bedürfnis wartet verzweifelt vor einem Toilettenhäuschen. Ein Mädchen beobachtet vergnügt, wie ein Wanderer auf einem Kuhfladen ausrutscht. Eine Frau klopft mit dem Besenstil an die Zimmerdecke, weil über ihr zu laut gefeiert wird. Am Strand gießt ein Kind einen Eimer Wasser über seiner sonnenbadenden Mutter aus. Und dann? Kinder und Erwachsene lieben es, die Geschichten weiterzuspinnen. Dann kann das weinende Kind wieder lachen, die Frau sammelt ihre heruntergefallenen Einkäufe auf und der in die Luft geschleuderte Palatschinken landet sicher in der Pfanne.

Mitgutschs Mutter weckte in ihrem Sohn Alfons die Freude am Erzählen. „Sie hüllte uns regelrecht ein mit ihren Worten, und wir gaben uns ihnen ganz und gar hin und fühlten uns darin geborgen“, schreibt der Künstler in seinen Kindheitserinnerungen „Herzanzünder“. „Egal wie steil der Weg war, ob große Hitze oder bittere Kälte herrschte oder von welcher Not unsere kleine Familie gerade heimgesucht wurde - Mutter behütete uns auf ihre ganz eigene Art mit ihren Geschichten und lockte uns mit ihnen in eine andere, wundersame Welt.“

"Ich träumte mir zwei Freunde"

1935 kam Mitgutsch in München als jüngstes von vier Kindern zur Welt. Der Zweite Weltkrieg, Hunger, Heimatlosigkeit und Not prägten diese Jahre. Der große Bruder fiel in Russland an der Front. Gegen Kriegsende floh die Familie vor den Bomben ins Allgäu. Dort litt der schüchterne Ali unter den Demütigungen durch andere Kinder. „Ich wanderte durch die Auen und den Wald allein und träumte mir die Abenteuer, die ich in Wirklichkeit nicht erlebt habe, weil ich keine Freunde hatte“, erinnert sich der Künstler. „Da träumte ich mir zwei Freunde, einen dicken, großen, starken, der mir half, und einen kleineren, frecheren, schlaueren, der mir immer die besten Ausreden zuflüsterte. Mit denen habe ich dann so meine Abenteuer erlebt.“

Nach dem Krieg wurde München für ihn zum Abenteuerspielplatz. Die Kinder zogen neugierig durch die Straßen, kletterten über Trümmer und erkundeten ausgebombte Keller. Mitgutsch schloss die Hauptschule ab, begann eine Lithographenlehre und später ein Grafikstudium. Er entdeckte das Reisen und erlebte Lappland, Nordafrika, Russland, Japan oder Indien.
Die Empfänglichkeit für Eindrücke gepaart mit einer präzisen Beobachtungsgabe machen die Bilder des Künstlers, der 2018 das Bundesverdienstkreuz erhielt, so besonders. „Die einzelnen Geschichten in meinen Wimmelbildern basieren auf eigenen Beobachtungen. Dazu habe ich stets einen kleinen Block und einen Stift dabei und zeichne flink Skizzen, mit denen ich dann später arbeite“, sagte der Münchner vor einigen Jahren.

Eine Kindheitserinnerung war prägend: Auf der Auer Dult durfte er mit dem Riesenrad fahren. Der Blick aus der Gondel begeisterte ihn. „Es passierte so viel gleichzeitig, die Geschichten gingen nicht aus: Menschen liefen über den Platz, kamen zu Gruppen zusammen, lösten sich wieder auf, Kinder jagten hintereinander her, Karren wurden gezogen, eine Frau sammelte ihren Einkauf vom Pflaster und ein Junge kletterte einen Laternenpfahl hinauf“, notierte er in seinem Buch.

 

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