Henrot hat das Kunststück, biografische und universelle Aspekte mit formalen Experimenten zu vereinen, dennoch zuwege gebracht. Sie wechselt dabei zwischen Malerei, Zeichnung und dem Medium der Bronzeplastik, das man heute eher mit Künstlern der Klassischen Moderne wie Picasso oder Brancusi als mit Zeitgenossinnen in Verbindung bringt.
Im Kunstverein sind alle Werke in einer Art Landschaft vereint, verbunden durch einen an die Wand gesprayten Horizont und aufgeklebte Papierstreifen, die es aussehen lassen, als bliese gerade ein Wirbelwind durch den Saal.
Auf drei Großformaten sind die Umrisse eines Embryos zu erkennen, locker hingesprüht in Wasserfarben. Sie müsse angesichts von Ultraschall-Aufnahmen aus dem Mutterleib oft an Rorschachtests denken, sagt Henrot – da wie dort entstehen „wässrige“ Bilder, die der Interpretation bedürfen, die Deutungen zulassen und eine nicht abgeschlossene Form zeigen.
Es sind nicht nur Fragen der künstlerischen Gestaltung, die sich aus einer solchen Offenheit ergeben – für Henrot geht es auch um universelle Erfahrungen der Menschwerdung. „Wie war es, als ich selbst ein Kind war? Wie war es, bevor ich Worte hatte? Mich interessiert auch der Umstand, dass Sprache als ein Gefühl im Mund beginnt. Wir können nicht sprechen, während wir noch saugen, Sprache braucht Zähne“.
In solchen Überlegungen wurzeln dann auch Bilder, die eine Mutterfigur mit Kind zeigen. In den expressiv gemalten Bildern scheinen es Mensch-Tier-Mischwesen zu sein, ihre Beziehung irgendwo zwischen Kampf und Konversation. In einer Bronzeplastik wiederholt Henrot dann wieder ein klassisches Madonnen-Schema, wobei auch hier Formen verschwimmen – die Brust mit dem Kindskopf, der Torso mit einem stilisierten „Y“.
„Mutterbilder sind heute so klischeebeladen, dass sie wie Buchstaben im Alphabet erscheinen“, sagt Henrot mit Blick auf „Mom-Influencer“ und ähnliche Phänomene. Vor-Bilder seien zwar einerseits hilfreich, weil sie Halt in wackligen Situationen bieten, übten aber auch massiven Anpassungsdruck aus.
In dieses System dringt Henrot mit ihren Bildern ein, macht die Spannungen von schön und hässlich sicht- und spürbar.
Die Erfahrung von Extremen aber hat letztlich nichts mit Milchpumpen und Mutterbrüsten zu tun. „Die Pandemie hat uns ja auch alle ein wenig mehr zu Müttern und zu kleinen Kindern gemacht.“
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