NS-Terror im Rothschild-Palais: „Du Saujud! Schaufel!“

Galerie der Täter: Adolf Eichmann und seine Mitarbeiter
Dem Komponisten Walter Arlen, 1920 als Walter Aptowitzer in Ottakring geboren, gelang im März 1939 die Flucht in die USA. Mit viel Glück.

Das einstige Palais Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße
Ende 2017, mit 97 Jahren, erzählte er im KURIER-Interview: „Wissen Sie, wie mühsam es war, bis man von den Nazis eine Unbedenklichkeitserklärung bekommen hat? Was das für byzantinische Rennereien waren? (...) Und wissen Sie, wie das mit dem Pass war? Man musste sich auf der Prinz-Eugen-Straße vor dem Palais Rothschild, das dann zerstört wurde, anstellen. Ich bin um acht Uhr abends hingegangen, im Jänner, und die ganze Nacht g’standen. Es hat geschneit, es war eiskalt. Eine lange, lange Schlange. Wie es Tag geworden ist, lag tiefer Schnee. Dann kamen die Nazis mit Gewehren. Sie brachten Schaufeln. Und sie haben nur alte Juden ausgesucht, um Schnee zu schaufeln. Einer konnte nicht mehr. Er stützte sich auf den Stiel. Die Nazis schrien ihn an: ,Du Saujud! Schaufel!‘ Aber er rührte sich nicht. Dann haben sie ihm die Schaufel weggenommen. Der alte Mann fiel um. Und dann haben sie ihm mit der Schaufel den Kopf abgeschlagen. Vor mir. Vor allen. Und das Blut auf dem weißen Schnee. Das werd’ ich nie vergessen.“
Das Palais des Bankiers Louis Rothschild hatten die Nationalsozialisten unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 beschlagnahmt. Und im August wurde ebendort die von Adolf Eichmann gegründete „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ eingerichtet. An ihr kam niemand vorbei, solange es möglich war, das Land legal (nach Entrichtung der „Reichsfluchtsteuer“) zu verlassen. Die Möglichkeit endete offiziell am 23. Oktober 1941, am 6. Juni 1942 übersiedelte die „Zentralstelle“ in die ehemalige jüdische Schule in der Castellezgasse 35, im März 1943 wurde sie geschlossen.

Bombentreffer: Palais Rothschild nach dem Weltkrieg.
Louis Rothschild erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg sein von Bomben getroffenes Palais zurück – wie auch die Familie des bereits gestorbenen Bruders Alphonse jenes in der Theresianumgasse. Doch die Rothschilds verspürten kein Interesse, nach Wien zurückzukehren: Die desolaten Immobilien wurden verkauft.

1957 bis 1960 errichtet: Das Gebäude der Arbeiterkammer.
Die Arbeiterkammer errichtete von 1957 bis 1960 in der Prinz-Eugen-Straße die Zentrale (auch das Palais in der Theresianumgasse wurde abgetragen; dort befindet sich jetzt das Theater Akzent).
Systematische Beraubung
Ab 2008 konnte man im Foyer eine Schau über die Geschichte des Ortes und der Kammer sehen, die viel zu überladen war für die bloß 70 Quadratmeter. 2021 beschloss man, sich auf die NS-Zeit zu konzentrieren. Den Wettbewerb gewannen die Provenienzforscherin Sophie Lillie (Autorin des Handbuchs „Was einmal war“ über die in der NS-Zeit enteigneten Kunstsammlungen) und der Künstler Arye Wachsmuth.

Neue Dauerausstellung ebendort: „Schaltstelle des Terrors“.
Wie schon bei anderen Projekten setzt das Ehepaar auf Abstraktion, Reduktion und klare Botschaften. Für die nun eröffnete Dauerausstellung „Schaltstelle des Terrors“ – eine bewusste Anspielung auf die wuchtige Berliner NS-Aufarbeitung „Topographie des Terrors“ – rückte es die Täter in den Mittelpunkt. Präsentiert werden die Lebensläufe von Adolf Eichmann und seinen Mitarbeitern. In Großbuchstaben ist über die Zentralstelle zu lesen: „Sie war Schaltstelle der systematischen Beraubung sowie der Vertreibung und Ermordung österreichischer Jüdinnen und Juden. Von hier aus organisierte die Zentralstelle die Deportation von über 49.000 Männern, Frauen und Kindern aus Wien. 45.500 von ihnen allein in den Jahren 1941/42.“

Nüchterne Auseinandersetzung mit der NS-Zeit: Sophie Lillie und Arye Wachsmuth.
Auf 30 Schautafeln zu wichtigen Stichworten gibt Sophie Lillie zudem einen Überblick über die NS-Judenverfolgung. Und das Landestheater in Linz zeigt seit Kurzem am dortigen Landesgericht die Produktion „Eichmann vor Gericht“, ein Doku-Theater auf Basis der Prozessunterlagen 1961.
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