"Anonymus": Shakespeare im Spektakel-Kino
Anstatt, wie man es von ihm gewohnt ist, ganze Weltenteile wegzusprengen, baut Roland
Emmerich diesmal auf: das London des elisabethanischen Zeitalters, zum Beispiel, wurde in ehrgeizigen Computeranimationen wiedererrichtet (und sieht dabei sehr computergeneriert aus).
Auch beim Ausstattungswahnsinn wurden keine Kosten gescheut: Die blaublütige Damen und Herren rascheln in einer unglaublichen Fülle an Gewändern durch die Gänge und basteln begeistert an ihren Palast-Intrigen. Dabei spielt sich das superbe Ensemble mit sichtlicher Freude, aber völlig ironiebefreit, durch die abstrusesten Drehbuchwendungen. Rhys Ifans als gealterter Edward De Vere verbreitet edles Pathos mit somnambulen Blicken, während Jamie Campbell Bower als junger Edward mit pubertärem Eifer ins Bett der Königin springt. Überhaupt die Königin: Mutter und Tochter - Vanessa Redgrave und Joely Richardson - machen aus Elizabeth eine schrullige alte und eine dezent nymphomanische junge, in jedem Fall unterhaltsame Königin.
Einzig das Volk bleibt betrunkener Pöbel, dem man schnell etwas einreden kann. Dementsprechend würdelos ist jener liederliche Schauspieler (Rafe Spall), der sich als Shakespeare ausgibt, um den Grafen von Oxford zu schützen. Gewöhnungsbedürftig auch die vielfachen Rückblenden innerhalb der Rückblenden, in denen gerade noch alte Menschen plötzlich jung sind und ein Ausmaß an Intrigen entfesseln, denen man kaum noch folgen kann (Stichwort: Inzest!). Trotzdem: Emmerich ringt seinem Stoff maximalen Unterhaltungswert ab, fackelt forsch das Globe Theater ab - und macht aus Theaterzauber effektvolles Spektakel-Kino.
KURIER-Wertung: **** von *****
INFO: DRAMA, GB/D 2011. 130 Min. Von Roland Emmerich. Mit Rhys Ifans.
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