Das liegt an den markanten Melodien von Songs wie „My Dearest Friend“ oder „Cool For You“, am makellosen vielstimmigen Gesang der Musikerinnen und vor allem an der Energie, mit der sie loslegen. Zwischendurch gibt es eine wunderbar zarte Version von „What’s Up“, einem Hit aus den 90er-Jahren. Normalerweise spielen sie ihn so wütend, wie er damals bei den 4 Non Blondes klang, erzählen sie. Heute aber fragend, weil so vieles vorgehe, was sie nicht verstehen können. Im Moment am wenigsten, dass die Staatsanwaltschaft Berlin die Ermittlungen gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt hat.
Nur mehr zwei weitere eigene Songs spielen sie dann, und irgendwie ist ihr Auftritt viel zu kurz. Sogar AnnenMayKantereit-Sänger Henning May wird sich später bei dem Trio bedanken und sein Publikum noch einmal um einen Applaus für My Ugly Clementine bitten.
Zuerst aber beginnen die Kölner mit dem zurückhaltenden „Es tut gut wieder hier zu sein“. May, dessen markante, verlebte Stimme dabei ganz im Fokus steht, widmet den Song Wien und der Tatsache, dass er sich hier so frei fühlt.
Dann gibt es mit „Wohin du gehst“, „Lass es kreisen“ und dem Hit „Pocahontas“ erst einmal Tempo und Druck. Vielleicht ein bisschen zu viel Druck für die Songs, die im Original zwischen Pop und Chanson changieren. Es wirkt, als wollten AnnenMayKantereit auf einmal eine Rockband sein. Dazu dröhnt der Bass, gespielt von Sophie Chassée, durch die Subwoofer, als wäre die Stadthalle ein Techno-Club.
Der Stimmung der Fans, die seit der krankheitsbedingten Absage der Show im April auf ihre Idole gewartet haben, tut das keinen Abbruch, und May erzählt, dass er und seine Freunde schon darauf gewartet haben hierher zu kommen, weil es hier „immer leiwand“ ist.
Aber die Übermacht vom Bass legt sich mit der Zeit. Auch weil sich das Trio dann rund um einen Tisch setzt und für ein paar Songs vorwiegend akustisch musiziert, so als wäre man gemeinsam in einem Wohnzimmer.
Und dann kommen sie doch noch dazu: Die Musiker, die seit einigen Jahren die AnnenMayKantereit-Shows so unglaublich bereichern. Vier Streicherinnen, drei Bläserinnen und ein Trompeter – zusammen La Chapelle genannt.
Es war ein kluger Schachzug von AnnenMayKantereit sie für die Tourneen dazu zu holen. Denn die drei haben nicht wirklich viele herausragende Songs. Ihre Melodien bewegen sich in einem engen Rahmen, sind einander ein wenig zu ähnlich. Die Varianten liegen eher in den Rhythmen. Das geht sich vom Spannungsbogen dann zwar für die Länge eines Albums aus, nicht aber für die Dauer einer ganzen Show.
Deshalb sind die neuen Klangfarben und Stimmungen, die La Chapelle jetzt einbringen, höchst willkommen. Bei „Vielleicht Vielleicht“ und dem größten Hit „Oft gefragt“ nimmt der Fanjubel deshalb Grönemeyer-Dimensionen an.
Und weil La Chapelle „so großartig sind und wir sie auch mal alleine hören wollen“ spielen sie alleine ein Instrumentalstück, während May, Drummer Severin Kantereit und Gitarrist Christopher Annen auf eine kleine Bühne beim Mischpult gehen. Das dort akustisch vorgetragene „Ozean“ und „Outro“, das kürzeste Liebeslied, das sie nie zuvor live gespielt haben, werden zum Triumphzug. Genau wie „Barfuß am Klavier“ in der Zugabe.
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