Und was ist mit Disney? Das Studio setzt neben computeranimierten Neuproduktionen auch wieder auf die bewährte Devise: Es war einmal. Nach und nach werden Zeichentrickklassiker restauriert und auf Disney+ angeboten. Wie etwa die – noch handgezeichnete – Verfilmung des Gebrüder-Grimm-Märchens „Cinderella“, die erstmals 1951 beim Berliner Filmfestival Berlinale gezeigt wurde. Der KURIER befragte Clark Spencer, den Chef der Disney-Animationsabteilung, und den japanischen Anime-Star Makoto Shinkai nach der Geschichte und der Zukunft des Animationsgenres.
KURIER: Als Sie die Disney-Animationsabteilung übernahmen, gab es die Sorge, dass Sie – als Absolvent einer Business-School – in erster Linie auf lukrative Filme setzen. Nun haben Sie aber mit Filmen wie „Encanto“ gezeigt, dass Sie auf trick-künstlerische Tradition Wert legen. Wie sehen Sie die Zukunft von Disney?
Clark Spencer: Zuerst einmal möchte ich betonen, dass ich nicht nur Business studiert habe, sondern auch Geschichte. Und gerade für historische Fakten braucht man viel Fantasie und Einfühlungsgabe, um sie richtig deuten zu können. Die Geschichte der Menschheit ist nicht und war nie geplant, sondern sie passiert. Und so ist es auch mit geschäftlichen Erfolgen. Die kann man auch nicht planen – und schon gar nicht auf einem so künstlerisch heiklen Gebiet wie der Animation. Wer hätte ahnen können, dass eine Maus nach hundert Jahren immer noch den Zeitgeist trifft? Aber es muss die Ästhetik so sein, dass sie dem modernen Geschmack entspricht und trotzdem das Potenzial hat, die Filme zu Klassikern zu machen – so wie eben „Cinderella“.
Der Start von „Suzume“ fällt in das Jahr, in dem Disney das 100-Jahr-Jubiläum feiert. Schöpfen Sie die Ideen zu Ihren Filmen aus der japanischen Anime-Tradition, oder ist da schon ein Einfluss von Disney spürbar?
Makoto Shinkai: Der größte Unterschied ist, dass Disney schon seit einiger Zeit nur noch Computeranimationen verwendet, während wir in Japan immer noch in der Tradition des handgezeichneten Trickfilms stehen. Vor allem, weil das japanische Publikum den Look der handgezeichneten Trickfilme bevorzugt. Vor allem die jungen Menschen haben den Eindruck, dass unser Alltag ohnehin schon zu sehr von Computern vorgezeichnet und designed ist.
Das Mädchen Suzume, dessen Geschichte Sie in Ihrem Film erzählen, kann Naturkatastrophen voraussehen. Hatten Sie da als Zielpublikum die Fans von Greta Thunberg vor Augen und die Klimaaktivisten und deren weltweite Protestaktionen?
Makoto Shinkai: Wie schon in meinem vorherigen Film, war auch jetzt die Zukunft unseres Planeten das große Thema. Als Japaner weiß ich natürlich, wie tief uns die Traumata von Fukushima und der drohenden Atomreaktor-Katastrophe immer noch in den Knochen sitzen. Die Form des Zeichentricks ermöglicht mir, das Thema in Form und Ästhetik eines Märchens zu erzählen, das aber eine zutiefst realistische Warnung beinhaltet.
Wie sehen Sie die nächsten 100 Jahre von Disney?
Clark Spencer: Ich werde die Entwicklung dieser langen Zeitspanne vielleicht nicht bis zum Ende verfolgen können (lacht). Aber da es immer einige Jahre dauert, bis ein Film von uns ins Kino kommt – von der ersten Idee bis zur fertigen Animation –, werde ich zumindest noch eine Weiche für die nächsten zehn Jahre stellen können. Mir ist es wichtig, dass unsere Filme immer von Menschen und deren Problemen, Freuden, Wünschen und Sehnsüchten erzählen und im Publikum eine Resonanz hinterlassen. Wie „Encanto“, „Zoomania“ oder „Triff die Robinsons“ – um nur einige der Titel zu nennen, die unter meiner Ägide entstanden sind.
Makoto Shinkai: Meiner Ansicht nach wird sich zumindest bei den Animationsfilmen das 3-D-Format durchsetzen. Denn je menschenähnlicher die Roboter werden, die wir für gewisse Arbeiten – vor allem in der Pflege und Altenbetreuung – einsetzen, desto größer sind dann sicher auch die Erwartungen des Publikums in das möglichst naturnahe Aussehen der Akteure in animierten Fantasy-Filmen. Und für 3-D-Effekte werden wir Computer verwenden müssen. Abgesehen davon gibt es auch in Japan immer weniger Kollegen, die Trickfilme mit der Hand zeichnen können.
Sehen Sie auch die Zukunft der Disney-Animationsabteilung mehr in Richtung Realismus und Naturalismus? Schließlich gibt es ja so etwas wie ein Sprichwort, das besagt: Besser von Disney gezeichnet als vom Leben.
Clark Spencer: Ich deute das so, dass wir richtig liegen: Von Disney gezeichnet bedeutet, dass es am Ende ein Happy End gibt. Wenn möglich ein märchenhaft schönes Ende. Und diese Aussicht braucht jeder Mensch bisweilen. Vor allem im Kino.
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