Ägyptens Schatzhüterin packt aus

Besucher betrachten ein altägyptisches Schiffsmodell in einem Museum.
Wafaa El Saddik, die ehemalige Chefin des Museums in Kairo erzählt, was sie unter Mubarak nicht verraten durfte.

Was Wafaa El Saddik zu erzählen hat, birgt Sprengstoff: Im Herbst 2010 – die Tage der Mächtigen in Ägypten sind schon gezählt, doch sie wissen es noch nicht – plant Präsident Mubarak einen Staatsbesuch in Italien. Mit einer Ausstellung von Kostbarkeiten aus dem Kairoer Museum will er Berlusconi beeindrucken: Gold-Artefakte aus Tutanchamuns Grab sind darunter, eine Büste von Echnaton, Ägyptens älteste Koran-Ausgabe. Einiges dürfte das Land gar nicht verlassen. El Saddik, damals Direktorin des Museums, protestiert aufgebracht. Zwecklos: „Der Präsident will es so“, wird ihr beschieden.

Diese und andere Episoden macht Wafaa El Saddik nun in ihrer druckfrischen Autobiografie „Es gibt nur den geraden Weg. Mein Leben als Schatzhüterin Ägyptens“ öffentlich. Die Archäologin leitete von 2004 bis 2010 als erste Frau das Ägyptische Museum in Kairo. Es beherbergt die weltweit größte Sammlung ägyptischer Schätze. Zur Erinnerung: Zu den etwa 120.000 Exponaten aus 4500 Jahren Geschichte gehören auch jene Stücke, die Howard Carter 1922 im Grab Tutanchamuns fand, darunter die Totenmaske des Pharaos.

Maulkorb

Über ihre abenteuerlichen Arbeitsbedingungen, Korruption und Vetternwirtschaft durfte sie unter Mubarak nicht sprechen. Doch als es in den Wirren nach seinem Sturz auch im Ägyptischen Museum zu Plünderungen kam, beschloss Wafaa El Saddik, ihr Schweigen zu brechen. Denn sie ist überzeugt, dass es kein Zufall war, dass Polizei und Sicherheitskräfte die antiken Stätten ungeschützt zurückließen: „Das war Sabotage, das war von Mubaraks Leuten geplant, damit die Welt denkt: Wenn Mubarak bleibt, ist Ägypten sicherer. Wenn ein Diktator an der Macht bleiben will, tut er alles, um Chaos zu erzeugen.“ Am 28. Jänner 2011 nahm Wafaa also ihre Tagebücher und beschloss, auszupacken.

Als man der renommierten Archäologin, die in Wien promovierte, 2003 zum x-ten Mal anbot, das Museum zu übernehmen, zögerte sie lange, zweifelte, ob sie für eine korrupte Regierung arbeiten kann und nahm schließlich doch an. Es herrschte ein Klima des Misstrauens und der latenten Bedrohung. „Jede Unterschrift konnte mich vor den Staatsanwalt bringen“, sagt sie.

El Saddik: „Die Anfänge als Direktorin waren nicht leicht. Die Mitarbeiter waren nicht motiviert. Aber am Ende hatte ich 30 Sonderausstellungen im Museum organisiert. Das brachte mehr und mehr Besucher und für die Mitarbeiter Motivation.“ Irgendwann kamen die Leute dann zu ihr und sagten: „Ich habe da eine Idee. Schließliche begannen sie sogar, wissenschaftlich zu arbeiten.“

Falschmeldung

Trotzdem: „Man wollte mich wieder loswerden. Ich wollte einfach nicht mitmachen.“ Sie meint Mauschelei und Vetternwirtschaft. „Daher hat man eine Geschichte erfunden, die dann in einer Zeitung veröffentlicht wurde – dass ein Stele aus dem Museumskeller verschwunden sei. Ich habe sie gesucht und gefunden. Danach hatte ich eine Zeit lang Ruhe.“

Die Vorwürfe waren aber der Anlass, dass sich die Archäologin im Keller umschaute. „Wenn der Journalist diese Geschichte nicht geschrieben hätte, hätte ich den Keller möglicherweise ein Jahr lang nicht betreten. Da habe ich dann eine große Aufgabe entdeckt.“ Sie machte sich daran, in den Katakomben unter dem Museum aufzuräumen und die einzigartigen Bestände erstmals zu inventarisieren. Revolution hin, Plünderung her: „Was heute noch gut läuft, ist die Inventur im Keller.“

Viel mehr läuft allerdings nicht: Die Archäologin „ist sehr traurig, wenn ich sehe, wie leer das Museum heute ist. Zu meiner Zeit kamen bis zu 17.000 Besucher täglich“. Sie hofft, dass die Leute wiederkommen. Ägypten ist nicht gleich Ägypten, meint sie. „Das Museum und die archäologischen Stätten sind sicher.“ Und weiter: „Wir brauchen die Unterstützung von außen. Das heißt nicht, dass wir Geld brauchen. Wir brauchen Touristen. Wir leben davon – 12 Millionen Menschen. Sie alle haben kein Geld, keine Arbeit.“

Das Buchcover von „Es gibt nur den geraden Weg“ mit Wafaa El Saddik.
Die Wunden, die die Revolution geschlagen hat, gehen tief. Auch im Museum. „36 Objekte, die sehr wichtig sind, fehlen bis heute. Die meisten sind aus der Amarna-Zeit.“ Einzigartige Stücke seien darunter, etwa eine Büste von Nofretete. „Der das gestohlen hat, wusste genau, was er mitnahm.“ Überhaupt die Amarna-Zeit, Echnaton, Nofretete, der Monotheismus: All das hat auch El Saddik immer fasziniert. „Es ist eine wichtige Epoche in der Geschichte der Menschheit. Ein Pharao, der eine Revolution gegen sein eigenes Regime angezettelt hat“, sagt sie und verrät: „Ich schreibe derzeit ein Buch über Nofretete.“ Irgendwie klingt sie dabei traurig; auch als sie fortsetzt: „Wir haben sehr viel geschafft.“ Sie meint ihre Zeit als Schatzhüterin Ägyptens. „Und dann kam die Revolution und alles wurde anders. Durch die Plünderung ist die Seele gebrochen.“

1950 im Nildelta geboren, wuchs Wafaa El Saddik in politisch unruhigen Zeiten auf. Mit ihrer Familie floh sie während der Suezkrise nach Kairo. Sie wollte zunächst Journalistin werden. Ein Besuch der Tempelanlage von Karnak brachte die Wende: Überwältigt von der imposanten Säulenhalle, spürte sie ihre Berufung zur Archäologin.

El Saddik studierte Ägyptologie in Kairo und promovierte in Wien. „ Österreich hat mein Leben verändert. Ich habe hier sehr viel gelernt.“ Anders als manche ihrer Kollegen wollte sie nicht nur als Inspektorin die Grabungen ausländischer Wissenschaftler begleiten. Und so leitete sie als erste Ägypterin überhaupt eine Ausgrabung in Karnak. Als sie für eine Ausstellung nach Köln reiste, lernte sie ihren Mann Azmy kennen. Das Paar hat zwei Söhne.

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