Gerard Depardieu wird 75: Ein Koloss, der wild wankt

Er sitzt nur in der Unterhose an seinem Marmortisch, umrundet von wertvollen Kunstwerken und zählt gerade am Telefon auf, wie viele Gänse und Hühner er zu dinieren gedenkt. So lernt der Comiczeichner Mathieu Sapin Gerard Depardieu kennen. Ungefähr in Minute drei ihrer Bekanntschaft blafft ihn der halbnackte Schauspieler dann schon an, warum er sich so bescheuert anstellt beim Kaffeemachen.
Mathieu hat Depardieu für die 2018 erschienene Graphic Novel „Gerard - Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu“ sozusagen als „embedded“ Reporter mit Zeichenstift begleitet. Heute würde er das wahrscheinlich nicht mehr machen. Wobei, mit reichlich Publicity wäre zu rechnen.
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Für die hat Depardieu zuletzt wieder gesorgt, als er sich in einer TV-Doku unappetitliche Kommentare geleistet hat. In dem Film hält er sich in Nordkorea auf, er hat ja ein erstaunliches Faible für Schurkenstaaten. Irgendwann in der Reportage meint er, dass ein zehnjähriges Mädchen beim Reiten auf einem Pferd einen Orgasmus bekäme.
Die Franzosen lieben ihre Helden, aber sie lieben es auch, wenn sie sich daneben benehmen, wenn sie ihnen beim Scheitern zusehen können. Die öffentliche Bestrafung war für Depardieu – kurz vor seinem 75. Geburtstag am Mittwoch, den 27. Dezember – diesmal das Entfernen seiner Figur aus dem Pariser Wachsfigurenkabinett. Und Kulturministerin Rima Abdul-Malak hat ein Disziplinarverfahren gegen den Schauspieler eingeleitet, an dessen Ende der Ausschluss aus dem Orden der Ehrenlegion stehen könnte. Das veranlasste den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Depardieu in Schutz zu nehmen vor einer „Menschenjagd“.
Drei Anzeigen
Nun sind es aber nicht die in unterschiedlichen Schweregraden verstörenden Ausrutscher, nicht die Alkoholeskapaden, die schon einmal dazu führen können, dass er sich in einem Flugzeuggang erleichtern muss, nicht die gesammelten Staatsbürgerschaften von dubiosen Ländern wie Russland oder den Arabischen Emiraten, die es fraglich machen, ob Macron noch recht hat, wenn er sagt: „Frankreich ist stolz auf ihn“.
Vor wenigen Tagen hat sich eine weitere Frau gemeldet, die Depardieu sexuelle Gewalt vorwirft. Die spanische Journalistin gibt an, dass der Franzose sie 1995 bei einem Interview vergewaltigt haben soll. Es ist seine dritte Anzeige dieser Art. Zahlreiche weitere Frauen berichten von sexuellen Übergriffen. Depardieu bestreitet alles.
Seine oft als extravagante Manierismen gefeierten Ausbrüche sieht man nun in einem anderen Licht. Von der Schauspielkunst des Kolosses in mehr als 200 Filmen haben die vermuteten Verbrechen den Blick unwiederbringlich weggelenkt. Das muss besonders an einem runden Geburtstag, der sonst gern zur launigen Rückschau auf kreative Höhepunkte genutzt wird, leidvoll festgestellt werden.
Verblasst ist, dass Depardieu allein heuer mit zwei Filmen im Kino war („Maigret“ und „Der Geschmack der kleinen Dinge“). Ausgeblichen die Erinnerung an seine vielen Auszeichnungen. Vergessen, dass er nicht nur „Obelix“, „Cyrano von Bergerac“ und „Der Graf von Montecristo“ war, sondern auch Protagonist einer besonders provokativen Phase des französischen Kinos der Siebziger Jahre, etwa „Die Ausgebufften“ von Betrand Blier.
Also all das, was Präsident Macron wieder mehr in Erinnerung rufen möchte.
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