"45 Years": Geheimnisse am Dachboden

Zu Beginn des Films surrt ein alter Diaprojektor auf dem Dachboden. Wackelige Bilder von einer Berglandschaft sind zu sehen, alles nebulos, nichts klar erkennbar. Kurz darauf trifft ein Brief im idyllischen Landhaus von Geoff und Kate ein. Ein Brief aus der Schweiz, in dem Geoff darüber in Kenntnis gesetzt wird, dass die Leiche seiner früheren Geliebten, Katya, nach vielen Jahren vom Gletscher freigegeben wurde. Alte Wunden werden bei ihm aufgerissen: Katya verunglückte seinerzeit bei einer gemeinsamen Bergtour.
Der Haken ist: Geoffs Ehefrau Kate, mit der er gerade die Feierlichkeiten zum 45. Hochzeitstag plant, weiß von alledem nichts. Nie hat ihr Geoff von Katya erzählt und von dem Gewicht, das sie seinem Leben verlieh. Kate fühlt sich hintergangen. Verraten und verkauft von dem Menschen, den sie am besten zu kennen glaubte. Mit einem Schlag ist dieses langjährige Gefühl der Sicherheit und Verlässlichkeit in ihrer Beziehung weg. Plötzlich ist ihr Geoff fremd.
Es ist großartig, Charlotte Rampling dabei zuzusehen, wie sich der Zweifel ihrer bemächtigt. Wie sich in ihrem Gesicht Verletztheit und Enttäuschung einbrennen. Auch Sir Tom Courtenay als ihr Ehemann spielt souverän, er wischt Kates Vorhaltungen mit beiläufiger Ignoranz vom Tisch: "Ach, ich dachte, ich hätte dir von dieser Geschichte erzählt". Nicht schlimm, reg dich nicht auf.
Großes Schauspielerkino, das Rampling und Courtenay Silberne Bären auf der heurigen Berlinale brachte.
KURIER-Wertung:
INFO: "45 Years". Drama. GB 2014. 93 Min. Von Andrew Haigh. Mit Charlotte Rampling, Tom Courtenay, Richard Cunningham, Geraldine James.
Im Kino: "45 Years"
Ab einer Höhe von 8000 Meter herrscht Todeszone. Da wird die Luft so richtig dünn. Keuchende Menschen liegen hustend in ihren Zelten, röcheln in Sauerstoffmasken, spucken Blut oder müssen sich mit Injektionen fit machen. Sie erinnern eher an Junkies als an heroische Extrembergsteiger.
Ungewöhnliche Bilder eines Bergsteigerdramas, bei dem es der Isländer Baltasar Kormákur vermied, allzu viel Heldenpathos zu erzeugen. "Adventure Consultants" nennt sich jene Agentur, die zahlenden Kunden zum Höhenrausch auf dem Everest verhilft. Ihr Leiter Rob Hall (der famose Jason Clarke aus "Zero Dark Thirty") setzt alles daran, um seine Truppe sicher zur Spitze zu bringen. Allerdings herrscht dort reger Verkehr, nachdem sich die Besteigung zum beliebten Tourismus-Spot entwickelt hat. Er kooperiert mit dem Amerikaner Scott Fischer (cool: Jake Gyllenhaal), doch ein überraschender Wetterumsturz setzt eine Katastrophe in Gang. Basierend auf wahren Ereignissen von 1996, schafft Kormákur packende Spannungsmomente in 3-D und bringt die Wucht der Natur und die Strapazen immer wieder intensiv zur Geltung. Trotzdem will sich keine rechte Emotion für die vermummelten Gestalten einstellen – und dass man deren schwangere Ehefrauen (u. a. Keira Knightley) minutenlang ins Telefon schluchzen lässt, erscheint in erster Linie konventionell.
KURIER-Wertung:
INFO: "Everest". Drama. GB/USA/I 121. Min. Von Baltasar Kormákur. Mit Jason Clarke, Jake Gyllenhaal, Emily Watson.

Sie werden immer ein Lächeln auf den Lippen haben, wenn Sie auf Ihre Bank gehen", sagt einer der Großinvestoren in Asien. Auch er kann sich das Lächeln nicht verkneifen, denn der Profit, der sich aus Ackerland schlagen lässt, ist hoch. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 ist Land auf der ganzen Welt zum lukrativen Investment geworden. Bauern und indigene Völker werden ohne Skrupel aus ihren Dörfern vertrieben, das Land wird ihnen einfach weggenommen oder zu einem Bettel abgekauft. Große Konzerne kaufen sich ein und pflanzen riesige Plantagen. Zuckerrohr, Palmen (für begehrtes Palmöl). Alles, was sich teuer verkaufen lässt.
Kurt Langbein beleuchtet in seiner packenden Doku, die ihn rund um die Welt geführt hat, diese neue Erscheinungsform des Kolonialismus. Der "Himmel auf Erden" für Investoren, die Hölle für die Opfer dieser Landraubindustrie.
KURIER-Wertung:
INFO: "Landraub". Doku. A 2015. 95 Minuten. Von Kurt Langbein. Musik: Thomas Kathriner.

Dass Wien anders ist, hat sich ja schon oft bewahrheitet: Wien ist Heimstätte für Raunzer und Wichtigtuer, für Manager (die sich laut Lebensqualitätsstudie hier pudelwohl fühlen) und Künstler, Baumeister aus Rudolfsheim und Sandler aus Osteuropa, Studenten aus Darmstadt und alte Leute aus Simmering.
Unsere Stadt ist ein Biotop für skurrile Gestalten und das wird einem bei Ansicht dieses "ungewöhnlichen Stadtporträts" von Walter Größbauer wieder einmal so richtig bewusst. Da beglückt ein sichtlich essbegeisterter Klavierbauer aus dem 15. Bezirk seine Angestellten mit täglichem Fischessen auf dem Trottoir vor dem Geschäft. Man sieht ihn, wie er hingebungsvoll seine selbstgefangenen Fische schuppt und Gemüse schnipselt. Ein Passant auf dem Gehsteig wünscht der Runde "Mahlzeit!". Dann wäre da noch Christin, ein Mann, der sich besser als Frau fühlt und das erste Jedleseer Begegnungsfest organisiert. Und Max, der mit Niklas zusammenlebt und leidenschaftlich schneidert. Wir lieben sie alle.
KURIER-Wertung:
INFO: "Sommer in Wien". Stadtimpressionen. A 2015. 100 Min. Von Walter Größbauer. Soundtrack: Der Machatschek.

Mark rechnet vor: "125 Dollar gehen fürs Gym drauf, 450 fürs Essen, 300 fürs Ausgehen und circa 200 Dollar für meine Krankenversicherung". Miete ? – Ist kein monatlicher Fixposten. Mark hat keine Wohnung: Er übernachtet auf dem Dach eines Hauses, in dem ein Freund wohnt.
Ungewöhnliche Einblicke in das – je nach Brieftasche – glamouröse oder beinharte Leben in New York eröffnet der österreichische Fotograf und Filmemacher Thomas Wirthensohn mit diesem Porträt des Lebenskünstlers Mark Reay. Ein gut aussehender Mann, der in der hippen Modeszene ein und aus geht und immer wieder als Statist bei großen Filmproduktionen mitwirkt. Sich zugleich in öffentlichen Toiletten wäscht und seine Sachen in den Schließfächern des Fitnessstudios verstaut. "Ich habe viel erlebt, aber nicht viel erreicht", sagt Mark. Ein kleiner, feiner Film.
INFO: "Homme Less". Dokumentation. A/USA 2014. 83 Min. Von Thomas Wirthensohn. Mit Mark Reay.
Es gibt in einem Kritikerleben viele Filme, die in die Kategorie "Vernichtung wertvoller Lebenszeit" fallen. Was nicht weiter erwähnenswert wäre: Auch Theaterfans oder Buchkritiker müssen sich durch gar schreckliche Aufführungen beziehungsweise Schmöker arbeiten. Manches lässt einen aber dann doch an seiner eigenen Aufnahmefähigkeit des Inferioren zweifeln.
Ein wunderbares Beispiel dafür ist dieser Film. Erstaunlicherweise wurde hier die Fortsetzung eines Horrorschockers gedreht, bei dem nach dem ersten Teil eigentlich nichts übrig geblieben ist. Nur Leichen und verbrannte Erde. Und jetzt zieht die von ihrem Ehemann drangsalierte Courtney Collins mit ihren Zwillingssöhnen Dylan und Zach (Bild) in das abgelegene Haus, das durch die Morde an der Familie Oswalt berühmt geworden ist. Einer der Buben hat gleich Albträume, ihm erscheinen grausame Kinder und der Bughuul, der Dämon, der das Haus verflucht hat. Im Keller lagern Filmrollen mit Szenen, die vom IS stammen könnten: Menschen werden bei lebendigem Leib verbrannt, ihnen wird der Kopf von Krokodilen abgebissen, eine Familie wird mit Stromschlägen gefoltert, bis das Fleisch raucht. Leider muss der Zuseher all diese Brutalitäten mitansehen. Oder eben nicht: Diesen Film kann man genüsslich versäumen. Wirklich.
KURIER-Wertung:

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