2500 Seiten holen die "rote Gräfin" aus der Vergessenheit
Warum es lohnend ist, sich mit der Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen zu beschäftigen.
Probemlos – und zwar völlig problemlos wegen des Nachworts des Germanisten Ulrich Weinzierl und wegen ihrer Autobiografie im ersten der vier Teile – lässt sich über Hermynia Zur Mühlen (1883 – 1951) schreiben, als wäre man mit ihr ein Stück des Weges gegangen.
Die „rote Gräfin“ aus dem dritten Wiener Bezirk - Foto oben.
Adelige Genossin.
Katholikin und Kommunistin, wegen Stalin dann keine Kommunistin mehr, sondern Sozialdemokratin und Fluchthelferin, als Dollfuß auf Arbeiter schießen ließ.
Als sie selbst auf der Flucht vor den Nazis war und in Preßburg auf ein Wiener Bankguthaben zugreifen wollte, hätte sie sich als „Arierin“ deklarieren müssen.
Sie lehnte ab. Da hauste sie lieber in Absteigen.
Entfremden
Das reicht, um sich mit Hermynia Zur Mühlen näher beschäftigen zu wollen.
Aber allein mit Zitaten aus ihren Werken sollte ebenfalls gelingen, sie aus der Vergessenheit zu holen – ihr Grab am kleinen Friedhof von Radlett in England hat nicht einmal einen Stein.
Die Nachfrage bei der Friedhofsverwaltung ergab: Hier liegt eine gewisse Hermynia Kleinova.
Vergessen – vergessener?
Sie schrieb:
„Man kann sich nicht allabendlich in einem ausgeschnittenen Kleid an einen schön gedeckten Dinertisch setzen und fühlen, dass ein schönes und gut gekochtes Diner für den Augenblick das Wichtigste auf der Welt ist, ohne sich dem wirklichen Leben zu entfremden.“
Sie schrieb:
„Vater, vergib ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun.“
Sie schrieb Romane, Erzählungen, Novellen, Feuilletons ... und – davon könnte noch einiges in den Bücherregalen stehen – Übersetzungen der sozialkritischen Romane Upton Sinclairs.
Verbessern
Die von Ulrich Weinzierl ausgewählten „Werke“ umfassen 2500 Seiten. Er sagt, doppelt so viele gebe es.
Hermynia arbeitete viel, um die Welt zu verbessern – und weil sie unter Druck stand. Zwar wurde sie als Gräfin Herminie Isabella Marie-Folliot-Crenneville de Poutet geboren, aber die Mitglieder des Hochadels blieben nicht alle reich.
„Zur Mühlen“ wurde sie durch Heirat, wobei sich ihr Mann als Antisemit entpuppte, der – nach der Scheidung – gern mit Hitler redete.
Verblüffend sind ihre (politischen) Märchen. Verblüffend auch, weil ihre Botschaften nicht nur dringlich auf die Situation der Entrechteten hinweisen. Sondern mitunter auch das Aufdringliche nicht scheuen.
Ein wunderschöner Rosenstock hungert bzw. dürstet, weil er will, dass ihn die Besitzerin des Gartens (und Besitzerin einer Fabrik mit vielen Arbeitern) ausmistet.
Denn dann kann ihn der brave, besitzlose Gärtner nach Hause zu seiner kranken Frau mitnehmen. Dort blüht die Rose im Topf. Dort heilt sie mit ihrem Duft.
Hermynia Zur Mühlen: „Werke“
Vier Bände im Schuber.
Herausgegeben von Ulrich Weinzierl.
Essay von Felicitas Hoppe. Zsolnay
Verlag. 2.432 Seiten.50,40 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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