Wissenschaftsstandort Wien: Immer wieder nachjustieren

Innovation durch Wissenschaft ist ein wichtiger Motor für wirtschaftliche Veränderungen, da die Entwicklung neuer Technologien, Verfahren oder Dienstleitungen zusätzliche Arbeitsplätze und Märkte schaffen kann. Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschaft-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), erklärt, woran es in Österreich da noch hapert.
Warum ist ein starker Wirtschaftsstandort auf Wissenschaft angewiesen?
Michael Stampfer: Zunächst einmal ist für alteingesessene Unternehmen eine sehr gute Wissenschaftscommunity vor Ort ein wichtiger Faktor, um Kooperationen schließen und Talente finden zu können. Zweitens kommen einige der stärksten Unternehmensgründungen aus den Universitäten. Und das Dritte ist: Will sich ein internationales Unternehmen, das selbst Forschung betreibt, in einer Stadt ansiedeln, schaut es zuvorderst, wo es die besten Wissenschaftler und Talente gibt. Also ist ein starker Wissenschaftssektor sowohl für Unternehmen, die schon da sind, als auch für Neugründungen und Ansiedlungen unabdingbar.
Wo steht die Universitätsstadt Wien im internationalen Vergleich?
Rein quantitativ ist Wien weit vorne – die Universitäten verbuchen fast ein Viertelmillion Studierende, das ist enorm. Auch in der wissenschaftlichen Forschung sind wir sehr gut, obwohl diese von 1925 bis in die 1960er-Jahre völlig eingebrochen war. Dieser Rückstand wurde gut aufholt. Aber andere europäische Universitäten in vergleichbaren Metropolregionen haben auf bereits hohem Niveau viel investiert. Wir sind zwar besser geworden, aber die anderen schlafen nicht – deswegen sind wir ein sehr guter, jedoch nicht der beste Wissenschaftsstandort in Europa.
Was fehlt, damit Wien mit weltweit führenden Universitäten in einem Atemzug genannt werden kann?
Es bringt wenig, zu sagen, wir machen es genauso wie das MIT in Boston und dann wird alles gut. Selbst wenn das amerikanische Wissenschaftssystem im Moment mit vielen Fragezeichen behaftet ist, stehen den Universitäten dort fünfmal so viel Forschungsmittel zur Verfügung, dazu haben sie Drittmittelgeber, die ihnen Millionenbeträge zur Verfügung stellen. Natürlich fällt es dem MIT dann auch leichter, die Verwertungsseite zu optimieren. Bei uns ist die leidige Argumentation, dass die Wissenschaft eh gut gefördert wird und jetzt sollte es nur mehr darum gehen, wie man möglichst viele Ergebnisse für Unternehmen rausquetschen kann. Das ist falsches Denken. Studien besagen, dass Top-Qualität entscheidend ist und ein guter Teil des Qualitätswachstums schlicht und ergreifend mit Geldwachstum zu tun hat. Daher darf der Staat nicht nachlassen, Universitäten und Forschung massiv zu finanzieren.
Warum gibt es das in den USA übliche private Förderungssystem in Österreich nicht?
Im Gegensatz zu fast allen Ländern sind in Österreich der überwiegende Teil der Stiftungen quasi Gefäße für Firmenanteile und Familien, aber kein Vehikel, um Geld für die Gemeinnützigkeit auszugehen. Hier gilt es Anreize finden, für das allgemein Gute Geld zu geben – sprich es steuerlich deutlich günstiger zu machen. Es ist aber auch die Sozialpartnerschaft gefragt, einen größeren Kompromiss zu schaffen, wo jede Seite ein Stück aufmacht. Aber das ist eine kulturell und strukturell wirklich höchst schwierige Landschaft.
Drittmittelfinanzierung ist für den Wissenschaftsstandort wichtig?
Selbstverständlich – sowohl, was die Menge des Geldes betrifft, als auch, was die Vielfalt betrifft. Der WWTF kann manchmal Förderungen anbieten, die es sonst nicht gibt – wir sehen eine Lücke und können entsprechend unterstützen. So finden auch Forscherinnen und Forscher mit ausgefallenen Ideen jemanden, der ihnen Geld gibt.

Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer WWTF
Wo kann die österreichische Forschung besonders reüssieren?
Mit der Universität Wien hat gerade erstmals eine österreichische Hochschule einen Platz in den Top 100 erreicht. Aber es gibt nicht nur Rankings, die Universitäten per se vergleichen, sondern es gibt solche, die auf Fächer- und Fakultätsebene bewerten. Und Wien schneidet nirgends so gut ab wie in einzelnen Geistes- und Sozialwissenschaften. Das ist eine wenig bekannte Tatsache, dass hier einige Fakultäten unter den Top 20 bis 50 der Welt zu finden sind. Aber wir sind noch in anderen Bereichen sehr gut: Da möchte ich in der Grundlagenforschung vor allem Life Sciences, Mikrobiologie, Quantenphysik, Informatik, Umwelt- oder erneuerbare Energieforschung nennen. Auch im klinischen Bereich sind AKH und MedUni mit wirklich fantastischen Kliniken gut unterwegs. Wir brauchen uns überhaupt nicht verstecken. In diese Spezialisierung, ohne das Feld völlig auszudünnen, noch mehr zu intensivieren, wäre eine gute Idee.
Wie zum Beispiel?
Es gilt, andere Organisationsformen für die Forschung weiterzuentwickeln. Das haben wir außerhalb der Universitäten mit Instituten, seinen es die Institute der Österreichischen Akademie der Wissenschaften oder das ISTA, gut hinbekommen, denn sie sind sehr dynamisch und produktiv. Was aber genauso entscheidend ist, ist die Frage, ob junge Talente hier rasch Karriere machen und starke Arbeitsgruppen gründen können. Nichts behindert Innovation und Veränderung in der Wissenslandschaft mehr, als wenn man ewig der Diener anderer ist.
Können Sie das näher erklären?
International hat sich das sogenannte Tenure-System bewährt: Dabei werden junge Talente bald streng, aber gegen ihre eigenen Leistungen bewertet, bis sie schrittweise eine volle Professur erhalten. Das bedeutet aber auch, dass sie sich nicht, nach langer Bewährung, in einem Berufungsverfahren mit völlig ungewissen Chancen gegen zig andere Kandidaten stellen müssen. Das sieht das altmodische deutschsprachige Modell nämlich vor – die Talente waren lange Diener für die Wissenschaft. Dadurch konnten sie ihre Karriere nicht gut planen, außerdem war dieses alte System offen für Spiele aller Art. Man kann Kandidaten verhindern, dabei können wissenschaftliche Gesichtspunkte manchmal eine untergeordnete Rolle spielen. In Österreich gibt es eine Mischform: Es finden sich schon kompetitive Elemente, aber nicht auf allen Ebenen. Dadurch können wir nicht immer die besten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierherholen. Das wäre aber wichtig, denn wo es schon starke Leute gibt, ist es viel einfacher weitere zu rekrutieren.
Zusammenfassend lässt sich dennoch sagen, dass die österreichische Wissenschaftslandschaft gut dasteht. Was fehlt, um die Erkenntnisse aus der Forschung in der Wirtschaft auch umzusetzen?
In Österreich waren die Unternehmen immer gut darin, Ideen weiterzuentwickeln und Produkte in die Welt zu bringen, die ein Stück weniger ressourcenintensiv, schneller oder digitalisierter sind. Sie konnten den langen Bogen, auf dem sich unsere Wirtschaft seit 1945 entwickelt hat, gut fortsetzen. Der Staat hat die Firmen auch über Jahrzehnte in einer für Europa herausragenden großzügigen Art gefördert. Auch die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft ist in Österreich – im Gegensatz zu dem, was die Leute gerne sagen – gut finanziert. Jetzt wird dieser Bogen aber brüchiger – aufgrund von AI, internationalem Preiswettbewerb oder der Veränderung der Märkte. Das macht es für viele österreichische Unternehmen schwerer, am Markt zu reüssieren. Was in Österreich viel zu schwach ausgeprägt ist, dass einer Firma, die was völlig Neues anbietet, Kapital zugeführt wird. So innovativ diese Unternehmen auch sind, sie kommen entweder gar nicht hoch, verhungern, gehen weg oder werden von internationalen Unternehmen aufgekauft. In Österreich gibt es kein Risikokapital. 50 Millionen für ein Start-up, um später beim Börsengang – vielleicht – sich eine goldene Nase zu verdienen, das gibt es bei uns kaum. Zusammengefasst heißt das: Die bestehende Riege an Firmen innoviert, wird uns aber möglicherweise über die nächsten 50 Jahre nicht mehr allein hinüberbringen, und es kommt zu wenig nach. Jene Elemente, die dem Nachwachsen eine große Kraft geben können – nämlich die eine positive Haltung der Gesellschaft zum Unternehmertum, das Vorhandensein von Risikokapital sowie ein starkes akademisches Umfeld, das professionelle Unternehmensgründungen hervorbringen kann, sind bei uns im Vergleich zu anderen Ländern jeweils schwächer entwickelt. Wir bräuchten ein bisschen einen Shift vom Bewahren zu mehr Radikalität und Innovation. Da sehe ich momentan eine der größten Herausforderungen.

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