„Wir brauchen mehr Kapital auf dem Markt“
 
            
            Von Sandra Wobrazek
Sie ist Österreichs wichtigster Handelsplatz für Aktien, ETFs und Zertifikate und bietet Unternehmen globale Sichtbarkeit – die Wiener Börse. Vorstandsvorsitzender Christoph Boschan spricht über den Aktienmarkt, Österreich als Ort für Investoren und die Rolle der Digitalisierung.
Wie würden Sie die aktuelle Position der Wiener Börse im internationalen Vergleich beschreiben?
Christoph Boschan: Aus Sicht der Anlegerinnen und Anleger ist der österreichische Aktienmarkt heuer gut unterwegs. Der Leitindex ATX inkl. Dividenden erreichte ein neues Allzeithoch und ist damit internationaler Spitzenreiter.
Was die Wiener Börse als Unternehmen betrifft: Wir bieten den österreichischen Top-Unternehmen die beste Bühne, auf der sie sich internationalen Investoren präsentieren können. Über 85 Prozent der Handelsumsätze in Wien kommen von internationalen Geldinstituten wie Morgan Stanley, Goldman Sachs oder Bank of America.
Was sind derzeit die Zugpferde am österreichischen Kapitalmarkt?
Der ATX ist ein eher konjunkturabhängiger Index. Das heißt laufen zyklische Branchen wie die Finanzindustrie, Grundindustrie oder die Energieversorger gut, legt er ATX stark zu. Wie kann der ATX also steigen, wenn Österreichs Wirtschaft schwächelt? Unsere österreichischen börsennotierten Unternehmen sind international aktiv.
Ihre Umsätze hängen von der gesamten europäischen und globalen Konjunktur ab. Die Top-Performer seit Jahresbeginn – Frequentis, AT&S und STRABAG – stehen beispielhaft für gegenwärtig gefragte Branchen: Sicherheit, Digitalisierung und den Auf- und Ausbau in Europa.
Was macht Österreich für internationale Investoren interessant?
ATX-Unternehmen überzeugen mit verlässlichen Dividenden und starker Präsenz in der Wachstumsregion Zentral- und Osteuropa. Trotz des jüngsten Kursanstiegs ist die Bewertung im internationalen Vergleich immer noch moderat. Daher sollten österreichische Aktien in keinem global ausgewogenen Portfolio fehlen.
Wie wichtig ist die Wiener Börse für die Finanzierung heimischer Unternehmen?
Sie bietet als Nationalbörse mit der Chance auf einen Platz im Leitindex ATX die beste Plattform und höchste internationale Sichtbarkeit. In den letzten Jahren gab es vor allem Neunotierungen im KMU-Segment, wie heuer mit der Steyr Motors AG oder der REPLOID Group AG.
In Österreich braucht es mehr Bewusstsein für die Chancen des Kapitalmarkts. Kein anderes Finanzierungsinstrument bringt mehr Kapital, Sichtbarkeit und sinnvolle Ordnung wie ein Börsengang. Gleichzeitig kann sich jeder an der unternehmerischen Reise beteiligen.
Welche Rahmenbedingungen sollten verbessert werden, damit die Wiener Börse stärker als Kapitalquelle wahrgenommen wird? Etwa damit weniger Unternehmen ins Ausland abwandern…
Das ist kein österreichisches, sondern ein europäisches Phänomen. Neben regulatorischen Vereinfachungen gibt es einen viel wichtigeren Hebel: Wir brauchen schlichtweg mehr Kapital im Markt, um insbesondere mit den USA als Standort für Börsengänge konkurrieren zu können.
Das kann nur gelingen, wenn das nationale Pensionssystem besser auf den Kapitalmarkt abgestimmt wird – sprich, große „Sammelstellen“ wie Pensionskassen stärker in den Aktienmarkt investieren.
Welche Maßnahmen wünschen Sie um den Standort zu stärken?
Das größte Potenzial liegt in der Altersvorsorge. Wenn alle drei Säulen – gesetzlich, betrieblich und privat – stärker auf Kapitalmarkt setzen würden, hätte das viele Vorteile: der Staatshaushalt würde nachhaltig entlastet, mehr flösse in Innovation und Wachstum und die Menschen würden von höheren Renditen profitieren.
Die umlagefinanzierte gesetzliche Säule sollte um eine geringfügige Kapitaldeckung ergänzt werden, die betriebliche Vorsorge breiter zugänglich sein. Bei der privaten Vorsorge wären die Wiedereinführung der Behaltefrist oder steuerbegünstigte Vorsorgedepots ein entscheidender Impuls.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung für die Zukunft der Börse?
Unser Handelssystem ist technologisch auf dem neuesten Stand. Wir beobachten laufend neue Entwicklungen und integrieren Innovationen dann, wenn sie echten Mehrwert bringen. So bleibt der Handel in Wien effizient, sicher und auf internationalem Top-Niveau.
Interview: Sandra Wobrazek
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