Von Wien-Meidling hinaus in die Welt

Das Gebäude von Boehringer Ingelheim mit moderner Fassade unter blauem Himmel.
Zwischen Laboren, Zellkulturen und modernster Technologie arbeiten bei Boehringer Ingelheim Wien motivierte Experten aus aller Welt an innovativen Medikamenten und Therapien von morgen.

von Sandra Wobrazek

Beinahe unscheinbar steht er in der Ecke, der kleine mausgraue Fiat Topolino aus den 1950er-Jahren. Mit den schon brüchigen Lederbezügen der Sessel und dem Schriftzug „Bender + Co. Ges.m.b.H Wien IV“ auf der Türe wirkt der Minitransporter made in Italy wie aus der Zeit gefallen – zumal er in einer Cafeteria steht.

Doch der Topolino ist weit mehr als ein origineller Einrichtungsgegenstand – er steht für pharmazeutische Geschichte. Genau jenes Modell diente in den frühen 1950er-Jahren Heinrich Bender als Firmenwagen. Im Hinterhof einer Apotheke in der Heumühlgasse 4 im 4. Bezirk eröffnete er mit der deutschen Pharmafirma C. H. Boehringer die erste Auslandsniederlassung des Familienunternehmens.

Forschungszentrum

Heute, mehr als 70 Jahre später, ist aus dem Projekt einer der wichtigsten Standorte des globalen Unternehmensverbandes geworden: Hier im 12. Wiener Gemeindebezirk liegt das Boehringer Ingelheim Regional Center Vienna (RCV) mit rund 3500 Mitarbeitenden. 

Das RCV trägt die Geschäftsverantwortung für 33 Länder Mittel- und Osteuropas, Zentralasiens sowie die Schweiz und Israel. Der Standort entwickelte sich von einer lokalen Betriebsniederlassung zu einem international vernetzten Forschungs- und Biotechnologiezentrum.

Wien ist heute das globale Krebsforschungszentrum des Unternehmens, in dem mehr als 400 Mitarbeitende aus aller Welt an neuen Medikamenten gegen Krebs forschen. Darüber hinaus betreibt Boehringer Ingelheim in Wien eine der modernsten biopharmazeutischen Produktionsanlagen Europas.

In den vergangenen zehn Jahren investierte das Unternehmen über 1,2 Mrd. Euro in den Ausbau des Standorts, davon mehr als 700 Mio. in eine neue großtechnische Anlage zur Erzeugung von biopharmazeutischen Wirkstoffen. 

Damit ist Wien nicht nur ein wichtiger Teil der globalen Forschung, sondern auch ein zentraler Pfeiler der biopharmazeutischen Produktion innerhalb des Konzerns. Ob in Forschung, Produktion, Logistik oder Verwaltung – alle hier eint ein Ziel: das Leben von Menschen mit innovativen Therapien und Medikamenten zu verbessern.

Stadt in der Stadt

Dass das gesamte Areal eine Stadt in der Stadt ist, wird klar, wenn man den Fiat Topolino in der Cafeteria hinter sich gelassen hat und den hochmodernen Campus betritt. Eine Vielzahl an Bäumen, Beeten und Sträuchern sorgt für eine angenehme Atmosphäre. 

Rund um den Campus stehen Forschungs- und Produktionsgebäude, die eine Zeitreise durch die Architekturgeschichte sind: Die 70er-Jahre sind hier ebenso vertreten wie zeitgenössische Architektur.

Beim Eingang zum jüngsten Gebäude, dem Angelika Amon Forschungsgebäude, benannt zu Eheren der renommierten österreichischen Forscherin (1967-2020), wartet Steffen Steurer, Leiter der Forschungskoordination. 

Er führt die „heiligen Hallen“ – die Labore. Auf elf Etagen arbeiten in dem Gebäude, das um 60 Mio. Euro errichtet wurde, rund 150 Forscher des „Innovation Unit“. Sie stammen aus mehr als einem dutzend Fachrichtungen – von Chemie und Biologie über Pharmakologie und Veterinärmedizin bis hin zu Mathematik und Statistik – und erforschen hier vielversprechende therapeutische Maßnahmen zur Bekämpfung von Krebs.

Ein vereinendes Ziel

Auch Steffen Steurer, ein gebürtiger Deutscher, der seit 22 Jahren in Wien lebt und arbeitet, ist ein Mann, der die Verbindung von Wissenschaft und Anwendung mit spürbarer Leidenschaft beschreibt: „Sobald ein Wirkstoff alle Kriterien erfüllt, die wir uns in der Forschung setzen, übergeben wir ihn an die Kollegen in der Entwicklung, die daraus dann ein neues Medikament entwickeln, das in klinischen Studien direkt an Patienten getestet wird. Und, wenn es erfolgreich ist, wird es hoffentlich zugelassen und kommt auf den Markt.“

Zeitgleich werden in Wien ca. 40 Forschungsprojekte in unterschiedlichen Stadien bearbeitet. Das Labor ist Teil eines globalen Netzwerks, das von Wien aus eng mit anderen Boehringer-Standorten kooperiert, etwa mit Kollegen in den USA. 

Dabei brauchen Forscher eine gewisse Frustrationstoleranz wie Steffen Steurer, promovierter Chemiker, weiß: „Viele der Projekte werden dann wieder eingestellt. Von 100 Ideen schafft es in der Forschung nur eine bis zum marktreifen Medikament.“ Umso schöner, so Steurer, ist es , wenn es funktioniert: „Angelika Amon, die Namensgeberin unseres Gebäudes, ist für uns alle eine große Motivation. Sie steht für das, was wir hier alle wollen. Schwerstkranken Menschen zu helfen, dass sie ihre Krankheit überleben können oder zumindest deutlich besser damit leben können.“

Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der moderne Vortragssaal für bis 250 Personen. Der Leiter der Forschungskoordination betont die Bedeutung des Saals, denn hier findet der in der Forschung so wichtige Austausch statt – in Form von internationalen Konferenzen, zu denen renommierte Speaker und externe Partner geladen werden. „In der modernen Krebsforschung, wo es viele unterschiedliche Ansatzpunkte gibt, sind Kooperationen unverzichtbar, da man die Breite gar nicht abdecken kann. Generell gilt: Pharmaforschung ist ein Teamsport. Und es arbeiten bis zu 50 Forscher mit unterschiedlichen Expertisen an einem Projekt.“

Wertvolle Wirkstoffe

Nur wenige Meter vom Forschungslabor entfernt, liegt ein Gebäude, in dem aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen von Steffen Steurer und seinen Kollegen Wirkstoffe werden: Die biopharmazeutische Produktion von Boehringer Ingelheim in Wien zählt zu den modernsten Europas. 

In großen Edelstahltanks wachsen entweder Zellkulturen oder Mikroben, die wie winzige Fabriken funktionieren: Sie produzieren komplexe Eiweißmoleküle, die als biopharmazeutische Medikamente in der Onkologie, Immunologie oder Stoffwechseltherapie eingesetzt werden.

Hier geschieht Präzisionsarbeit im Mikrometerbereich: Denn jede Temperaturveränderung, jedes Mischverhältnis, jeder Sauerstoffwert wird kontrolliert und dokumentiert. Damit dies gelingt, arbeitet hier auch eine Berufsgruppe, die man nicht unbedingt vermuten würde: Brauer, denn sie verstehen sich auf den Umgang mit Hefekulturen, wie sie auch in der Bierherstellung vorkommen. 

Seit der Inbetriebnahme einer neuen Produktionsanlage mit Zellkulturen im Jahr 2021 hat sich Wien zu einem zentralen Produktionsstandort im globalen Netzwerk des Unternehmens entwickelt. Von hier aus werden Märkte in Europa, Asien und Nordamerika beliefert. 

Jedes Produkt, das diese Anlage verlässt, steht am Ende für die Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch es sind nicht nur Forschung und Produktion, die es hier gibt: Neben Büros für die Verwaltung und der Qualitätskontrolle gibt es auch eine Energiezentrale, eine eigene Betriebsfeuerwehr sowie ein Trainingsgebäude, in denen neue Kollegen für die Produktion ausgebildet werden.

Attraktiv für Fachkräfte

Ein weiterer Standortvorteil von Wien für das Unternehmen (aber auch für zahlreiche andere aus der Branche): Eine starke akademische Umgebung und eine hohe Dichte an Fachkräften. Es gibt renommierte Universitäten, Fachhochschulen und ein wachsendes Ökosystem aus forschenden Unternehmen und Start-ups. Auch deshalb ist die Stadt für internationale Fachkräfte attraktiv, das sie hohe Lebensqualität mit kultureller Vielfalt und einer wachsenden Community von Forschenden aus aller Welt vereint.

Der jüngste Neubau ist ein klares Bekenntnis zum Standort Wien, denn es wurde ein Ort geschaffen, an dem Innovation tatsächlich greifbar wird. Forschung und Produktion greifen gezielt ineinander, um Medikamente zu entwickeln, die das Leben vieler Patienten verbessern können. In diesem Mikrokosmos geschieht jener Fortschritt, von dem viele Menschen weltweit profitieren werden und der die Mitarbeitenden täglich motiviert.

Sandra Wobrazek

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