Tradition trifft Transformation
Von Stephan Scopetta
Als Kaiserin Maria Theresia im Jahr 1771 das Börsepatent erließ, wurde in Wien ein Kapitel europäischer Wirtschaftsgeschichte aufgeschlagen. Der erste Handelstag fand am 2. September 1771 im Haus Kohlmarkt 12 statt. 1877 zog die Börse in das von Theophil von Hansen entworfene Gebäude am Schottenring, das bis heute als Symbol für die lange Finanztradition des Landes gilt.
Von hier aus wurden über Generationen Anleihen, Aktien und Devisen gehandelt, Ausdruck einer Ökonomie, die auf Stabilität und Vertrauen baute. Die Verbindung von Geschichte und Moderne prägt auch heute den Finanzplatz Wien, der zu den ältesten und zugleich zukunftsorientiertesten Europas zählt. Doch um zukunftsfroh zu bleiben, braucht der Finanzplatz auch Reformen.
Struktur im Wandel
Heute ist das Finanzsystem Österreichs laut Oesterreichischer Nationalbank (OeNB) von Stabilität geprägt, steht aber zugleich vor tiefgreifenden Umbrüchen. Der Bankensektor dominiert mit einer Bilanzsumme von 1,3 Billionen Euro, rund 68.000 Beschäftigten und 458 Instituten, die sich auf sieben Sektoren verteilen.
Die drei größten Bankengruppen halten dabei rund die Hälfte der konsolidierten Bilanzsumme. „Österreich ist eine hochentwickelte Volkswirtschaft und ein reiches Land“, sagt Ivan Vlaho, Vorstandsvorsitzender der UniCredit Bank Austria. „In der Vergangenheit ist es immer wieder gelungen, das hohe Kostenniveau dank hoher Produktivität zu kompensieren und international konkurrenzfähig zu bleiben.“
Der Fokus der heimischen Banken liegt auf dem Kundengeschäft. Sie sind vor allem Universalbanken, die sich auf Kredit- und Einlagengeschäft konzentrieren und sich damit deutlich von Investmentbanken im angelsächsischen Sinn unterscheiden. Damit bleibt das System solide, aber auch träger als in dynamischen Finanzmärkten. Gleichzeitig schreitet die Konsolidierung rasch voran: In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Institute nahezu halbiert.
Digitalisierungs-Chancen
„Die Megathemen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind fest in unserer DNA verankert, weil sie die Zukunft entscheidend prägen und verändern“, betont Vlaho. Milliardeninvestitionen in nachhaltige Technologien müssen über den Finanzsektor finanziert werden. Gleichzeitig fordern hohe Regulierungskosten und steigende Anforderungen an Eigenkapital die Institute heraus.
Vlaho sieht hier vor allem Europa in der Pflicht: „Bei der notwendigen Deregulierung sehe ich stark die europäische Ebene gefordert.“ Ein weiterer Engpass betrifft den Arbeitsmarkt. Der „War for Talents“ ist auch in Banken spürbar. „Österreich ist weiterhin ein attraktiver Standort, der Fachkräfte anzieht. Investitionen in die Attraktivität des Standorts und offene Rahmenbedingungen sind jedoch weiter notwendig“, so Vlaho.
Kapitalmarkt Kultur
Stefan Neubauer, aktuell Vorstandsmitglied und künftiger CEO der Kathrein Privatbank, sieht vor allem in der geringen Aktienkultur ein strukturelles Problem: „Wären wir mehr in Wertpapiere, insbesondere in Aktien, investiert, wäre unser Wohlstand in den letzten Jahren deutlich stärker gewachsen.“ Die Skepsis gegenüber Kapitalmarktveranlagungen verhindere, dass Ersparnisse produktiv eingesetzt werden. „Man sollte es ermöglichen, steuerbegünstigt Vermögen über den Kapitalmarkt aufzubauen“, fordert Neubauer.
Gleichzeitig hebt Neubauer die Rolle der Privatstiftungen hervor, die bei rund der Hälfte aller Familienunternehmen eine Rolle spielen: „Sie sind ein probates Mittel zur Nachfolgeplanung.“ Trotz höherer Eingangssteuern bleibe das Interesse an dieser Institution hoch. Auch der Zugang zu Risikokapital für Unternehmen müsse verbessert werden: Viele innovative Ideen entstünden in Österreich, würden aber im Ausland realisiert, weil hier die Finanzierung fehle.
„Wir brauchen ein stärkeres europäisches Netzwerk für Risikokapital und Venture-Finanzierungen, um die Innovationskraft kleiner und mittlerer Betriebe zu stärken“, fordert Neubauer.
Im Private Banking sieht Neubauer eine Scharnierfunktion zwischen Tradition und Zukunft. Die Kathrein Privatbank habe etwa mit dem Format „Family Konsult“ eine Plattform geschaffen, auf der Unternehmerfamilien, Nachfolger und Stiftungen gemeinsam mit Experten Strategien für Veranlagung und Nachfolge entwickeln.
Ziel sei es, Wissen und Werte zu verbinden und so langfristiges Vertrauen zu schaffen. Nachhaltige Investments spielen dabei eine immer wichtigere Rolle: „Wir veranlagen einen erheblichen Teil des Vermögens nach den Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens oder der Bischofskonferenz“, erklärt Neubauer. Gleichzeitig mahnt er: „Eine überbordende Regulierung hat mehr Unsicherheit als Klarheit gebracht.“
Reformen wichtig
Beide Banker fordern klare politische Weichenstellungen. „Selbstverständlich steht kurzfristig die Erfüllung der EU-Auflagen hinsichtlich der Budgetpolitik im Vordergrund, nicht zuletzt, um auch die gute Bonität Österreichs abzusichern“, betont Vlaho.
Stabilität sei unverzichtbar, doch brauche es für die Finanzinstitute Planungssicherheit, steuerliche Anreize und eine Entlastung bei der Regulierung. Die OeNB sieht im Bankensektor einen stabilen, aber weiter zu modernisierenden Pfeiler der Volkswirtschaft: Kredite und Einlagen machen mehr als zwei Drittel der Bilanzsumme aus, der Kapitalmarkt bleibt vergleichsweise klein.
Eine stärkere Verknüpfung zwischen Banken und Kapitalmarkt könnte die Finanzierung von Innovationen und Nachhaltigkeit entscheidend beschleunigen. Der Finanzplatz Wien steht damit an einem Wendepunkt. Bis 2035, so Neubauer, solle Österreich „als verlässlicher, innovationsfreundlicher und grüner Finanzstandort im EU-Vergleich sichtbar weiter vorn stehen“. Dazu braucht es Reformwillen, Kapitalmarktkultur und Vertrauen in die eigene Zukunftsfähigkeit.
Stephan Scoppetta
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