In Bewegung: Mobilität neu gedacht
 
            
            Von Sandra Wobrazek
Wer in einer Stadt lebt und sich fortbewegen möchte, hat mitunter die Qual der Wahl. Soll es das eigene Auto, das öffentliche Verkehrsmittel, ein Leih-E-Scooter – oder doch lieber das Rad sein?
So vielfältig die Möglichkeiten der urbanen Fortbewegung, so klar ist die Richtung: weg vom Auto, hin zu nachhaltigen Konzepten.
Aktive Mobilität
Die urbane Mobilität befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden Wandel, sagt Aglaée Degros, Leiterin des Instituts für Städtebau an der TU Graz: „In ganz Europa wird mehr Platz für aktive Mobilität, das heißt Fußgänger und Radfahrer, geschaffen, wo die Struktur der Städte dies zulässt – und der Autoverkehr wird reduziert. Mailand, Kopenhagen, Utrecht, aber auch kleinere Städte wie Karlsruhe, Maribor, Paris und Sankt Pölten sind perfekte Beispiele dafür.“
Aglaée Degros, die auch Gründerin des Zentrums für aktive Mobilität (ZAM) in Kooperation mit der Uni Graz ist, erklärt, dass sich die Situation in größeren österreichischen Städten in Sachen nachhaltiger Mobilität verbessert.
Sie verweist auf Radoffensiven in Graz und Wien sowie den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs: „Außerdem gewinnen E-Bikes als alltägliches Fortbewegungsmittel an Bedeutung. Kleinere Städte sind jedoch nach wie vor autozentriert, und es gibt sogar einige Beispiele für rückschrittliche Politik.“
Autofrei mobil
Die Wiener, sagt Katharina Jaschinsky vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ), erledigen 75 Prozent ihrer Wege mit Öffis, zu Fuß oder mit dem Rad, in Graz und in der Stadt Salzburg sind es 63 Prozent und in Linz 57 Prozent.
In Städten ist es dank dichter Bebauung und besserer Nahversorgung leichter, autofrei mobil zu sein, so die Expertin. „Damit mehr Wege zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegt werden, sind mehr Verkehrsberuhigung, großflächiges Tempo 30 sowie eine gute Rad-Infrastruktur zentral. In niederländischen Städten werden in den meisten Straßen keine Autos abgestellt, wodurch mehr Raum für Menschen entsteht, die zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs sind.“
Beim öffentlichen Verkehr, sagt Jaschinsky, sind ein dichtes Netz, häufige Verbindungen, ein gutes Angebot auch an den Stadträndern wichtig sowie mehr Stadt-Umland-Verbindungen, damit Pendlerinnen und Pendler verstärkt auf Bahn oder Bus umsteigen können.
Richtige Richtung
Österreich ist auf einem guten Weg, aber noch nicht an der Spitze, gibt Martin Kiers, Koordinator der Fachrichtung Mobilität am Institut für Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement der FH Joanneum, zu bedenken: „Das Bewusstsein für notwendige Veränderungen ist zwar groß, doch das Auto prägt nach wie vor Politik und Alltag.
Eine grünere, leisere Stadt findet breite Zustimmung, doch bei konkreten Eingriffen wie der Reduzierung von Fahrstreifen oder Parkraum bröckelt diese Zustimmung – wodurch die Umsetzung langsam verläuft.“
Zugleich zeigen St. Pölten und Lienz, so der Experte, was möglich ist. Denn oft sind es engagierte Gemeinde-Teams, die die Projekte vorantreiben. Werden diese Vorreiter zu Katalysatoren und finden Nachahmer, rückt Österreich vom Konsens zur konsequenten Umsetzung – und damit näher ans europäische Spitzenfeld“, sagt Kiers.
Verkehrspolitik
Dabei hängt das Mobilitätsverhalten vom Angebot ab, so Katharina Jaschinsky. Denn wo der öffentliche Verkehr verbessert wird, wird dieser mehr genutzt.
In Wien wurde vor zwanzig Jahren mehr mit dem Auto als mit den Öffis gefahren, heute haben die Öffis die Nase vorne. „Und in der Stadt Salzburg ist das Fahrrad mit 37 Prozent das meistgenutzte Verkehrsmittel am Arbeitsweg. In Städten, wo das Auto in der Verkehrsplanung bevorzugt wird, wird mehr Auto gefahren. Die Verkehrspolitik hat es in der Hand, das zu ändern – und Staus, Lärm und Abgase in den Städten deutlich zu verringern“, so Jaschinsky.
Aglaée Degros verweist auf Paris als Vorreiter beim Übergang zu aktiver Mobilität: „Auch bei integrierter Entwicklung – indem der vom Autoverkehr zurückgewonnene Raum der aktiven Mobilität und der Klimaanpassung gewidmet ist.“
Umdenken gefragt
Laut Martin Kiers verengt sich die Debatte um aussterbende Innenstädte oft auf die Frage nach Parkplätzen: „Gefragt sind Umdenken und eine Umgestaltung: weniger Autos, mehr Platz für Grünflächen, Aufenthaltsbereiche und Nahversorgung.
Davon profitiert auch der notwendige Kfz-Verkehr. Rahmenbedingungen, Anreize und Flächen sollten sich ergänzen – nicht gegeneinander wirken.“
Urbane Mobilität, so der Experte, braucht den Ansatz „Vermeiden, Verlagern, Verbessern“. Vermeiden meint gebündelte Alltagswege oder eine kluge Raumordnung: „Verlagern meint, dass es sichere Fuß- und Radnetze, einen starken ÖPNV sowie Sharing und On-Demand-Angebote in Randlagen gibt.“
Verbessern bezieht sich auf die Elektrifizierung von Flotten und eine digitale Steuerung durch die Bereitstellung von Echtzeitinformationen. „Zukunftsfähige urbane Mobilität“, so Kiers, „erfordert geringeren Platz- und Energiebedarf, mehr Sicherheit und Aufenthaltsqualität sowie ein verlässliches Angebot, das auch abends und am Wochenende gewährleistet ist.“
Sandra Wobrazek
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