„Es braucht Realismus statt Ideologie in der Energiepolitik“

JBC Vienna GmbH
Energieexperte Johannes Benigni über Abhängigkeiten, realistische Klimapolitik und was Österreich tun muss, um die Industrie zu stärken.

Von Stephan Scopetta

Steigende Energiepreise, geopolitische Spannungen und ehrgeizige Klimaziele setzen die europäische Industrie unter Druck. Im Gespräch mit dem KURIER warnt Energieexperte Johannes Benigni, Geschäftsführer von JBC Vienna, vor den Folgen ideologisch geprägter Entscheidungen und erklärt, warum eine pragmatische Energiepolitik jetzt überlebenswichtig ist.

Europa steht zwischen Klimazielen, teuren Importen und einer schwächelnden Industrie. Was ist derzeit das größte Risiko?

Johannes Benigni: Europa hat sich in seiner Energiepolitik zu sehr auf Klimaziele fokussiert und dabei die Kostenfrage vernachlässigt. In Asien wird Energie gezielt als Wachstumstreiber verstanden und häufig subventioniert, um Mobilität und Industrie zu sichern. 

In Europa hingegen führt die Verteuerung zu einem klaren Wettbewerbsnachteil. Österreich sollte seine energie- und handelspolitischen Interessen stärker in den Vordergrund rücken und Versorgungssicherheit sowie Preisstabilität als strategische Priorität begreifen.

War die europäische Energiepolitik der letzten Jahre zu ideologisch geprägt? 

Ja, eindeutig. Die europäische Energiepolitik war in den letzten Jahren stark ideologisch getrieben und hat zentrale wirtschaftliche Realitäten ausgeblendet. Viele Beschlüsse wurden ohne Rücksicht auf Kosten oder Versorgungssicherheit getroffen. 

Das hatte massive Folgen für die Wirtschaft und Verbraucher. Die Planungssicherheit ist dadurch verloren gegangen. Österreich sollte wieder den Mut haben, seine energiepolitischen Interessen klar zu artikulieren und Partnerschaften nach wirtschaftlicher Vernunft statt politischer Symbolik zu wählen.

Welche Rolle spielt Erdgas heute noch? 

Erdgas bleibt auf absehbare Zeit der speicherbare Energieträger, der für industrielle Prozesse unverzichtbar ist. Ein schneller Umstieg auf Wasserstoff wäre derzeit nicht finanzierbar. Ohne Fördermittel und einen realistischen Übergangsplan wird Österreichs Industrie diese Transformation nicht stemmen können.

Wie kann Österreich seine Gasversorgung besser absichern? 

Ich empfehle eine Drittelstrategie: Kein Versorger sollte mehr als ein Drittel seiner Mengen aus einer Quelle beziehen. So lassen sich Ausfälle leichter kompensieren. Diese Strategie muss aber politisch vorgegeben werden, da Unternehmen im Wettbewerb meist nur auf den Preis achten.

Viele fordern den schnellen Ausstieg aus fossiler Energie. Wo liegt für Sie das richtige Tempo? 

Klimaschutz ist zweifellos wichtig, aber er darf nicht losgelöst von ökonomischer Realität betrieben werden. Österreich hat sich Klimaneutralität bis 2040 vorgenommen, also früher als die meisten anderen Staaten. Diese Zielsetzung klingt ehrgeizig, stellt aber die heimische Wirtschaft und insbesondere die Industrie vor enorme Herausforderungen.

Entscheidend ist nicht, wie schnell wir aus fossilen Energien aussteigen, sondern ob wir die Transformation wirtschaftlich und sozial verkraftbar gestalten. Ein nationaler „Energy Transition Plan“ mit klaren Etappen, Prioritäten und Finanzierungspfaden wäre sinnvoller als starre Zielvorgaben, die der Industrie und den Haushalten den Handlungsspielraum nehmen.

Kann Europa bei der Entwicklung und Produktion erneuerbarer Schlüsseltechnologien international wieder aufschließen? 

Ja, wenn wir gezielt Schlüsseltechnologien fördern und nicht nur den Ankauf von Windrädern oder PV-Anlagen subventionieren. Technologische Führerschaft bringt mehr, als einfach nur schneller zu dekarbonisieren. Sonst wandern energieintensive Betriebe in Länder mit niedrigeren CO₂-Kosten ab.

Welche Reformen wären für Österreich am dringendsten notwendig? 

Der Staat sollte Steuern und Abgaben auf Strom und Gas spürbar senken und die Netzkosten durch umfassende Strukturreformen reduzieren. Eine engere Stromanbindung an Deutschland könnte die Durchleitungskosten verringern und so die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft insgesamt verbessern.

Solche Maßnahmen würden Betrieben wieder mehr Planungssicherheit geben. Steuern und Abgaben sollten nur dann erhöht werden, wenn Energiepreise niedrig sind, nicht in Zeiten ohnehin hoher Kosten.

Was sollte die Politik jetzt konkret tun, um Energiepreise zu stabilisieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern? 

Die Politik sollte pragmatischer handeln und Ideologie durch Realismus ersetzen. Österreich braucht eine aktive Energie- und Handelspolitik mit klaren Prioritäten, realistische Zeitpläne für die Transformation und ein professionelles Management der Energiewende. Ökologische und wirtschaftliche Ziele müssen in Einklang gebracht werden, anstatt gegeneinander ausgespielt zu werden.

Stephan Scoppetta

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