Begegnungen: Großes Drama am Bodensee

Dompfarrer Toni Faber.
Dompfarrer Toni Faber darüber, was die Bregenzer Frstspiele mit den großen Themen des Lebens zu tun haben.

Von Toni Faber

Unter den Ehrengästen bei der Eröffnung der Bregenzer Festspiele war auch der höchst versierte Kenner der menschlichen Psyche Prof. Reinhard Haller, mit dem ich mich gerne ausführlich über den Ödipuskomplex unterhalten hätte. Nach der eindrucksvollen Eröffnung am Vormittag war bei der Premiere der Oper „Oedipe“ von George Enescu leider nicht die Zeit dafür. Jeden hat die imposante Musikdarbietung mit dem beeindruckenden Bühnenbild in seinen Bann gezogen.

Ödipus im Fluch der Gewalt

Die Gewalttätigkeiten auf der Bühne nahmen bald nach der Freude über das neugeborene Königskind ihren Lauf. Die Geschichte vom weggelegten Findelkind lässt Parallelen zum aus dem Wasser des Nils geretteten Kind Moses anklingen, das Geburtsfest des Königskindes erinnert an weihnachtliche Hymnen. Aber damit hat sich die Freude schon verabschiedet. Das Orakel des blinden Sehers führt zur Verdammung des noch kurz zuvor bejubelten Kindes, die Last seiner prophezeiten Zukunft wiegt zu sehr: Ödipus wird seinen Vater ermorden sowie seine eigene Mutter entehren und schwängern. Das große Drama nimmt in vier Akten seinen Lauf.

In der Pause kann man der Frage nachgehen, ob das Thema für Sommerfestspiele nicht zu schwer sei. Aber die bei der Eröffnung beschworene kritische Weltlage lässt uns keine andere Wahl, als uns der verdichteten Realität der gewaltvollen Welt zu stellen. Bevor Ödipus seinem tragischen Schicksal entfliehen und den ewigen Frieden finden kann, wird uns vieles an Leid zugemutet. Nicht in Realitätsverweigerung von blindem Optimismus und fatalem Pessimismus werden wir die Zukunft meistern können, sondern nur mit beherztem und realistischem Zupacken sowie mit viel Zuversicht werden wir Heil erwarten können.

Das ist nicht nur Spiel auf der großen Bühne im Festspielhaus, sondern unausweichliche Realität auf jeder Lebensbühne.

Zum Autor: Toni Faber ist seit 1997 Dompfarrer und Cityseelsorger in Wien.

Email: a.faber@edw.or.at

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