Stadtgeflüster: Der Zucker im Kaffee

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Über Momente der Nähe in der anonymen Großstadt.
Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

Als Kind der Großstadt hat man mit der Anonymität grundsätzlich kein Problem. Man hat es schließlich nie kennengelernt, dass einen die Nachbarin zum Kaffee einlädt, dass man von der Billa-Verkäuferin begrüßt oder dass man von den Menschen, die einem auf der Straße entgegenkommen, angehalten und in einen Plausch verwickelt wird. Und weil man diese Begegnungen als Kind nie hatte, vermisst man sie als Erwachsener nicht.

Aber dann und wann kommt es dennoch zu Bekanntschaften, die einem klarmachen, dass es anders sein kann.

Angefangen hat es mit einem angedeuteten Kopfnicken. Ein fast unsichtbares Zeichen der Wiedererkennung, als ich zum wiederholten Male die mitgebrachte Kaffeetasse über den Tresen der Bäckerei geschoben (um den Pappbecher zu sparen, wie es mich meine Arbeitskollegin gelehrt hat) und einen Cappuccino bestellt habe.

Bald wurde aus dem Kopfnicken ein „Hallo“. Verhalten zuerst; man erkennt sich zwar, kennt sich aber noch nicht. Und außer, dass man einander zwar täglich, aber doch nur ganz wenige Minuten auf der jeweils anderen Seite eines Tresens gegenüber steht, hat man nichts gemein.

Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, was den Bann gebrochen hat. Aber irgendwie entwickelten sich aus dem vorsichtigen „Alles gut bei Ihnen?“ kleine Gespräche. Über den Tag, über die Hitze, über das Wochenendhaus, über das Leben. Man muss nun nicht mehr dazusagen, dass man gerne ein Beutelchen Zucker in den Cappuccino möchte und nimmt Kaffee entgegen, „der mit Liebe gemacht“ ist, und der gleich noch besser schmeckt.

Und wenn man nach einer Woche Urlaub noch etwas fernwehmütig durch die U-Bahnstation trottet, und in der ansonsten anonymen Öffentlichkeit von einem freundlichen Lächeln und den Worten „Ah, Sie sind wieder zurück. Wie war der Urlaub?“, begrüßt wird, wird einem endgültig bewusst, dass man sich auf die Kaffeepause schon lange nicht mehr wegen des Kaffees gefreut hat.

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