Ode an den O

Ode an den O
Der Orgasmus gilt als einer der schönen Momente, die das Leben zu bieten hat. Zeit für eine Würdigung.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Zum Thema „Orgasmus“ haben schon viele Menschen etwas gesagt, beispielsweise ein Fußballer namens Fredi Bobic: „Tore schießen ist besser als ein Orgasmus, weil da die Freude überall herauskommt.“

Gefällt mir – egal, ob der Sager nun wirklich von ihm ist oder nicht. Es geht aber auch poetischer, man schlage bei D. H. Lawrence nach: „Und wenn aus all den wilden Orgasmen der Liebe sich langsam ein Edelstein formt, in den alten, noch einmal geschmolzenen Felsen zweier Menschenherzen, zweier alter Felsen, den Herzen eines Mannes und einer Frau, das ist der Kristall des Friedens, das langsam hart gewordene Juwel des Vertrauens, der Saphir der Treue. Der Edelstein gemeinsamen Friedens, entsprungen dem Chaos der Liebe.“ Die meisten aber fassen das Thema in folgende schlichte, zwei Worte: „Ich komme.“ Als eines der wohl magischsten und zugleich auch rätselhaftesten Momente menschlichen Lebens hätte der sexuelle Höhepunkt allerdings eine ganze Enzyklika an Betrachtungen, Gedanken, Balladen oder Geschichten verdient. Gibt es in dem Sinn aber leider nicht. Googelt man diesbezüglich ein bisschen herum, landet unsereins in den Niederungen der Mainstream-Sexualberichterstattung: „Mega-Orgasmus-Porn-Videos – jetzt gratis!“ oder aber: „So bringen Sie eine Frau in 15 Minuten zum Höhepunkt.“

Augenblick des Staunens

Wie schön, dass es nun ein Werk gibt, das sich dem Phänomen philosophisch nähert. Im Buch „Philosophie des Orgasmus“ (Suhrkamp) stellt Autor Claus Steffen Mahnkopf fest, dass der Orgasmus ein derart elementares Phänomen ist, dass er eine eigene philosophische Betrachtung verdient. Weil „der Orgasmus ein ganzes Bündel philosophischer Fragen berührt“, etwa: „Wie ist eine Einheit der Zweiheit zu denken? Wie diejenige einer Person mit einem Anderen? Oder die von Körper und bewusstem Erleben, sonach von Leib und Seele? Was verstehen wir unter einer Selbsttranszendierung des Ichs?“ Spannend.

Einen Gedanken in dem Buch schätze ich aber besonders, er hat etwas mit dem Thema „Staunen“ zu tun, das der Mensch, als „kindliche Fähigkeit“, im Laufe der Jahre meist verlernt oder schlichtweg vergisst, weil es halt nicht „erwachsen“ ist. Doch gerade die Liebe, der Sex und ganz besonders der Orgasmus hätte, näher betrachtet, mehr von diesem Staunen verdient. „Dass Menschen einander lieben, begehren, attraktiv finden, miteinander verkehren, das ist so selbstverständlich, dass man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen muss, wie wenig selbstverständlich genau dies ist“, schreibt Mahnkopf. Und: „Das trifft auch auf den sexuellen Höhepunkt zu. Nur wer, um es empathisch zu formulieren, jedes Mal staunt, dass es ihn überhaupt gibt, und wie er sich entfaltet, zeigt sich seiner würdig.“ Der Gedanke hat was, wo doch der Orgasmus irgendwo zwischen Ware, Selbstverständlichkeit und Problemfall gesehen wird – und natürlich als Produkt der Sexindustrie. In Wirklichkeit ist er ein Faszinosum, ein Wunder, für das der Mensch dankbar sein müsste. Das aber meist mit lapidaren Aussagen wie diesen verflacht wird: „Bist gekommen?“ – „Yep. Ich geh eine rauchen.“ Ehrlich: Dieser Augenblick hätte echt mehr Pathos verdient und auch mehr Dankbarkeit.

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