
© Ulrike Rauch
Oma & Sinti
Paul Pizzera über seine Großmutter und die Sensibilisierung der Mitmenschen.
Meine Oma hatte stets ein Bouquet an Kalendersprüchen parat, derer sie, in tibetanischer Gebetsmühlen-Manier, zu rezitieren, nie müde wurde. So kam es also des Öfteren vor, dass sie einen TV-Bericht über hungerleidende Afrikaner mit den Worten „As Leben is sche, vo anfoch woa nie die Red“, quittierte. Meine Oma sagte viele Sachen, die mich mit zunehmender Empathie für meine Mitmenschen sehr traurig machten. Als ich 2015, während der Flüchtlingswelle, das letzte Mal mit ihr sprechen konnte, waren ihre Ansichten bereits so verhärmt, dass es mir abermals sehr wehtat, ihre Aussagen über hilfesuchende Menschen einfach abzunicken.
Also hatte ich eine Idee. Wenn ich sie schon nicht über ihr, durch schwarze Pädagogik und Drittes-Reich-Propaganda herausgeprügeltes, Mitgefühl erreichen konnte, dann vielleicht ja über das gute alte Werkzeug der Logik. Ich sagte: „Oma, du meinst ja immer, wenn man ein Problem hat und es lösen kann, hat man kein Problem. Und wenn man ein Problem hat und es nicht lösen kann, hat man auch kein Problem, oder?“ Sie nickte lächelnd, ob des tadellosen Zitats „ihrer“ Weisheit. „Findest du, die Flüchtlinge sind ein Problem?“ Oma: „Ja sicher, dei suin bleiben, wo sie san!“ „Okay, damit sie bleiben, wo sie san Oma, müssen wir ihnen helfen; mit Spenden, mit der Sensibilisierung unserer Mitmenschen, weil wenns denen dort wieder gut geht, kommen sie nicht zu uns, verstehst du? Bist du bereit zu helfen?“ Leider war sie es nicht und meinte trocken, dass das Leben schön sei, und so weiter …
Während Sie das lesen, werden an der spanisch-marokkanischen Grenze Afrikaner zu Tode geprügelt und der spanische Ministerpräsident bedankt sich für diese Gräueltaten. Wenn man Hilfesuchende schon nicht aufnehmen will, dann müssen wir vor Ort helfen, damit sie keine Hilfesuchenden mehr sind. Beides nicht zu tun, funktioniert nicht, weil, und da hatte meine Oma recht: „Ma kann net mit am Oasch auf zwa Kirtag tanzen.“