Die Realität ist nur ein Vorschlag

Die Realität ist nur ein Vorschlag
Klaus Eckel über die Wirklichkeit und das maßgeschneiderte Leben in der virtuellen Welt.

Was war das gestern für eine Party! Wir waren 27 Personen, in einem kleinen Wohnzimmer. Wir haben gelacht, wir haben gesungen, wir haben getanzt. Wildfremden Menschen bin ich in den Armen gelegen. Teilweise schmusend. In den frühen Morgenstunden hatte ich von diesem rauschenden Fest endgültig genug und habe meine neue VR-Brille abgenommen. Das gerade erschiene Computerspiel, LBC (Life bevor Corona), macht tatsächlich süchtig. Einziger Kritikpunkt, ein gesellschaftliches Zusammensein liegt gefühlt schon derart lange zurück, die Grafik sollte in Schwarz/Weiß sein. Reisewarnungen bedingt, war das Jahr 2020 geprägt von einer Überdosis Österreich. An der stirbt man nicht, nur hat sie bei mir die Sehnsucht nach Spanien befeuert. Das VR Spiel RHF (Real Holiday Feeling) hat Abhilfe geschaffen. Es simuliert einen dreistündigen Billiglinienflug und verkleidete, ostdeutsche Flamenco-Gitarristen, die mir in einer andalusischen Tapas-Bar auf umgestimmten Gitarren und mit sächsischem Akzent „Besa mi mucho“ ins Ohr hauchen. Nach einem solchen Trip entfaltet sogar der Gewerbepark Stadlau seine verborgenen Reize.

In der virtuellen Welt kann jeder Mensch sein maßgeschneidertes Leben führen. Dort kann man Bill Gates bespucken, Sebastian Kurz anhimmeln, seinem Chef die Meinung sagen oder im Kitzloch zwanzig Flügerl bestellen. Vielleicht wird irgendwann ein Großteil der Menschheit mit einer VR Brille auf seinem Klo sitzen und sich alle paar Stunden eine Pizza durch den Türschlitz schieben lassen. Bis auf die lästigen Stoffwechselprozesse lässt sich die Realität vermeiden. Es funktioniert auch umgekehrt. Das Spiel BTR (Bless the Reality) simuliert eine Wurzelbehandlung im Mittelalter. Unter Garantie gibt man danach der trüben Gegenwart wieder eine Chance. Und vor allem seinem Zahnarzt.

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