Tag 3 des Festivals: Köpfchen, Barmherzigkeit und Glück

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Theaterduo Traumbaum aus Bochum (Deutschland) spielt jiddische Märchen. UND: "Die Entschuldigung" - ein Lehrstück über Vergangenheits-(Nicht)Bewältigung.

Das aus Deutschland kommende Theater Traumbaum nimmt sich oft aktueller Themen an – Obdachlosigkeit, Flucht... – sucht und findet dazu Geschichten, würzt sie mit (Spiel-)Witz und verleiht ihnen stets eine Botschaft. Vor zwei Jahren gastierte die Gruppe, die in Bochum ein eigenes Haus hat, aber auch viel tourt mit „Grenzen-los – K/ein Flüchtlingsmärchen“ bei „luaga & losna“.

Das Glück im Pech

Diesmal bemühte sich das Duo Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht dem (wieder) aufkeimendem Antisemitismus zu begegnen – bewusst nicht mit einer Verfolgungs- und Opfergeschichte. Der Ansatz von „Schlamasel Masel“ sind märchenhafte Geschichten aus der jüdischen Kultur – wobei jiddisch und jüdisch ein wenig durcheinandergewürfelt wird. Erzählungen, die – mehrmals auch an- und ausgesprochene – Kernelemente enthalten: Gewitztheit, Barmherzigkeit und Glück. Mitunter auch im Pech noch das Glück zu sehen: Gut, dass Mottel beim Stolpern nur unter dem eigenen gefalteten Haus am Rücken zu liegen kommt. Wäre er reich, würde er nun unter einer Villa liegen – und dann?!

Apropos Falt-Haus auf dem Rücken: Er und seine Ehefrau Golde müssen weg, weil das was sie als Sonnenuntergang vermuteten der Schein eines Großbrands in einem Stadtteil war – was eigentlich zum Weinen wäre. Irritierenderweise hatten die beiden vor Beginn der eigentlichen Vorstellung dem Publikums Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben, die Lachen erlaubten und meinten, zum Weinen gäbe es nichts.

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Faltbare Fantasie

Zu vielen Ohs und Ahs veranlasste das Duo vor allem die jungen Zuschauer_innen mit dem gekonnten Umbau der andernorts wieder aufgestellten Faltwände von einem Haus in eine Kutsche, den Himmel als Wohnort Gottes und Erzengel Gabriels. Letzterer wird von ersterem auf die Erde geschickt, um die Menschen zu prüfen – vor allem auf Barmherzigkeit.

Dass Jüdinnen und Juden einfach Menschen sind wie du und ich – das will das Theaterduo immer wieder an- und ausgesprochen vermitteln, vermeidet allerdings das eine oder andere holzschnittartige Klischee über diese leider nicht. So charmant es sein mag, bei Geschichten aus verschiedenen Kulturen sprachliche Elemente daraus einzubauen, so eigenartig wirkt es, wenn diese bestenfalls bemüht klingen – wie hier einige der eingestreuten jiddischen Begriffe. Bei „Grenzen-los - K/ein Flüchtlingsmärchen“ war’s ein fast zur Unkenntlichkeit entstelltes Wort aus Dari (eine der in Afghanistan weit verbreiteten Sprachen).

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Infos: Schlamasel Masel

Jüdische Geschichten und Märchen über Gewitztheit, Barmherzigkeit und Glück
Theater Traumbaum / Deutschland
Ab 6 J.

Idee, Realisation & Produktion: Theater Traumbaum / Freier Vogel
Spiel: Birgit Iserloh und Ralf Lambrecht
Musik: Klaus Jochmann
www.kinder-theater-traumbaum.de/schlamasel.html

 

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(K)eine Entschuldigung, Schlussfolgerungen sind angesagt

Szenische Lesung eines Stücks von Martin Auer, das aus der Dramatiker_innenbörse von vor zwei Jahren hervorgegangen ist.

Der Ausgangspunkt war/ist eine reale Geschichte: Die Großeltern väterlicherseits des Autors Martin Auer wurden im Konzentrationslager Treblinka ermordet. Er initiierte einen „Stein der Erinnerung“ vor ihrem Wiener Wohnhaus.

Ein fiktives Radiointerview über diese Gedenksteine sowie ein Anruf eines ihm fremden Mannes bilden den Beginn von „Die Entschuldigung". Vor zwei Jahren war Auer damit in der Dramatiker_innenbörse, die das Festival „luaga & losna“ seit vielen Jahren (heuer zum 23. Mal) begleitet. Autorinnen und Autoren stellen Stücke oder erste Szenen für Stücke vor, diskutieren sie gemeinsam intensiv und wertschätzend. Mitunter werden daraus später wirklich Stücke, die manchmal auch beim Festival selbst aufgeführt werden. Aus der weiteren Bearbeitung Auers heuer eben eine szenische Lesung – durch das „theater der figur“, die zuvor auch schon an anderen Orten Vorarlbergs zu sehen und hören war. „Ein Kammerspiel nicht ohne bitteren Humor über sentimentale Vergangenheitsbewältigung“, nennt der Autor das potenzielle Stück im Untertitel.

Der Interviewte heißt hier Ariel Mautner (gespielt vom Autor). Der Anruf kommt von einem ihm nicht bekannten Kurt Berger (gespielt von Robert Kahr). Der möchte sich bei ihm entschuldigen. Sein Vater war SS-Aufseher in eben dem KZ, in dem Mautners Großeltern ermordet wurden. Wofür er sich entschuldigen wolle, er selbst habe ja nichts getan und Absolution für die Taten seines Vaters könne er von ihm sicher keine haben, versucht Mautner Bergers Bemühen um ein persönliches Treffen abzuwehren.

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Doch Treffen

Nach Rücksprache mit anderen –Verwandten (?) – erklärt sich Mautner zu einem persönlichen Gespräch bereit. Er erfährt von Berger (den Auer für das Stück realitätsnah erfunden hat) stückweise einiges über den weiteren Lebensweg des ehemaligen KZ-Aufsehers, auch wenn Berger anfangs mehrfach beteuert, nichts zu wissen, kommt – angestoßen durch Mautners Recherche - heraus: Dank einflussreicher ehemaliger Obernazis wie dem Treblinka-Kommandanten Franz Stangl lebte Vater Berger unbehelligt in Brasilien, tauchte nach Stangls Verhaftung ab, wurde von dem aber nicht an die Justiz ausgeliefert. Mautner möchte, dass Berger diese Fakten in Medien berichtet und der Shoah-Forschung zur Verfügung stellt.
Der will keinen Schmutz über die Familie bringen, vor allem Bergers Tochter Miriam (Birgit Unger), die den im Rollstuhl fahrenden Vater zum Treffen begleitet, will das verhindern, wird immer wieder richtiggehend aggressiv. Sie, die Video-Blogs betreibt und TV-Journalistin werden möchte, würde gern eine „Versöhnungs“-Geschichte zwischen ihrem Vater und Mautner drehen, fordert den berühmten „Schlussstrich“, mault über den Mauthausen-Besuch mit ihrer Schulklasse usw.

Gegen Ende taucht die von Miriam herbeigeSMSte (Groß-)Mutter auf. Anna Maria Tschopp gibt diese – nicht lesend, sondern hervorragend schauspielend, hält ihrem Sohn vor, sie habe ihm ohnehin alles über den (vermeintlichen) Vater erzählt und sorgt noch für einen familiären Knalleffekt.

Was lernen wir daraus?!

Der Autor hat Berger „nur“ erfunden, um wichtige, zentrale Gedanken verhandeln zu können, die auch über emotionale Betroffenheit und „Mitgefühl für das, was den Juden angetan worden ist“ weit hinausgehen. Das reicht vom Mit-Profitieren Hunderttausender, die billig an die Jüd_innen geraubten Wohnungen oder auch nur an einen Kochtopf gekommen sind. Und das geht Auer vor allem darum, das Warum zu ergründen. Warum Jüd_innen aber auch Roma und, und, und damals zu Feindbildern gemacht – und eben sogar massenhaft ermordet worden sind. Und die Muster zu erkennen, die wir heute wieder finden. Um diesmal hoffentlich rechtzeitig Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Abwertung von Menschengruppen... stoppen zu können.

All das Gute und Richtige, das in der trotz ihrer Länge (1 ¾ Stunden) kaum je langatmigen szenischen Lesung verhandelt wird, ist in manchen Passagen vielleicht zu lehrmeisterlich. Der Autor merkte dies und lässt Mautner sagen, ja er wisse, dass er jetzt wieder doziere. Vielleicht würden sich diese Erkenntnisse noch besser verbreiten, wenn Mautner einer der anderen Figuren Raum ließe, zumindest Teile dieses Wissens selbst zu erwerben und nicht nur fertig serviert zu bekommen.

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Infos: Die Entschuldigung

Ein Kammerspiel nicht ohne bitteren Humor über sentimentale Vergangenheitsbewältigung.
von Martin Auer
Theater der Figur / Österreich
Ab 15 J.

Szenische Lesung mit: Martin Auer, Robert Kahr, Birgit Unger, Anna Maria Tschopp
Regie: Sabine Wöllgens
Bühne: Johannes Rausch
Kostüme: Evelyne Fricker

www.theater-der-figur.at

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