Tag 2 des Festivals: In der Kampfarena der Liebe

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Nordisches Märchen vom „König Lindwurm“ in einer sehr dichten dramatisierten Version des belgischen Agora Theaters. Und: Clowneskes Spiel um himmelblaue Sessel.

„Die Kampfarena der Liebe“, nannte Viola Streicher in der Nachbesprechung auch den Schauplatz ihres 5/4-stündigen Schauspiels mit großem körperlichem Einsatz und riesiger Wandlungsfähigkeit. Die Wandlungsfähigkeit schafft sie aber nicht nur in ihrer Person, sondern auch vor allem im zentralen Requisit, einem Kasten. Den macht sie mal zu einem Pferd, zu Burg, Berg und sonst noch was, aber auch zum Bett der Mutter des kleinen Kindes, eines Lindwurms.

„König Lindwurm oder Wie schreibt man einen Brief?“ nennt sich das Stück des Agora Theaters aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens. Es baut auf einem nordischen Märchen auf, einem in dem es über weite Strecken ziemlich brutal zugeht.

Grundgeschichte: Die Königin will ein Kind, der König zieht in den Krieg. Eine alte, weise Frau gibt der Königin eine Schüssel, die solle sie im Gartenumgedreht auf die Erde stellen, anderntags werde sie zwei Rosen vorfinden. Eine, aber nur eine dürfe sie essen. Warum auch immer – ob aus Gier, weil sie auf Zwillinge hofft ... – natürlich isst sie beide. Das Kind, das sie auf die Welt bringt ist – eh kloar, das Stück heißt ja so – ein Lindwurm. Die Mutter handlet das ganz gut, der Vater als er endlich aus dem Krieg zurückkommt, eher wenig.

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Mörderischer Möchtegern-Jung-Ehemann

Der kleine Drache – zu deren Gattung gehören Lindwürmer – will nun eine Frau, frisst aber die Prinzessinnen, die sich bewerben auf. Es geht also nicht nur im Krieg, sondern auch bei Hof recht grausam zu.

Die Tochter des Schäfers jedoch, die nun an die Reihe kommt, schmiedet Pläne, legt sich einen Plan zurecht. Kämpfen und kitzeln scheidet sie aus. Geschichten erzählen mit jeweils einer Art Cliffhanger, so dass der Königssohn auf die Fortsetzung erpicht ist, kommt ihr in den Sinn – à la Scheherazade in „1000 und einer Nacht“, der orientalischen Märchensammlung von Indien bis Mesopotamien. Und da sie weiß, dass er neun Häute übereinander hat, zieht sie sich zehn Nachthemden für die Hochzeitsnacht an. Wenn sie eins auszieht, muss er eine Haut abstreifen, verlangt sie ihm ab. So öffnet er auch nach und nach seinen Panzer – am Ende einer brutalen Prozedur wird aus dem Lindwurm ein wunderschöner Prinz.

In den Krieg ziehen, Kinder kriegen usw. wiederholt sich – auch wieder mit etlichen Komplikationen. Lustvoll, immer wieder sprunghaft – wie Kinder oft spielen – agiert die extrem wandlungsfähige Schauspielerin mit dem schon genannten wandelbaren Kasten und einem guten Dutzend an kleinen Spielfiguren. Warum die Kriegsspielszenen derart lustvoll sein müssen, direkt aufs Publikum zielende einschlägige Hand- und Armbewegungen inklusive, erschließt sich nicht wirklich. Hervorragend jedoch die vielschichtigen Auf und Abs in den diversen Liebesbeziehungen – eben eine „Kampfarena der Liebe“.

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Infos: König Lindwurm oder Wie schreibt man einen Brief?

Agora Theater / Belgien
75 Minuten, ab 8 J.

Regie und Text: Ania Michaelis
Spiel: Viola Streicher
Bühnenbild: Céline Leuchter
Kostüme: Petra Kather
Dramaturgie: Ulrike Carl

www.agora-theater.net/

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Clowneskes Spiel rund um, auf und mit himmelblauen Sessel(n)

„Aufstehen! Wieder setzen! Melden“ Die Lehrerin diktiert den imaginären Kindern – in Richtung Publikum. Ihre „Autorität“ ist vielleicht gebrochen durch ihr clowneskes Aussehen. Sie (Marlis Hirche) und ihr Bühnenpartner Oliver Dassing schlüpfen als Clown-Duo in verschiedene Rollen – und Schuhe. Letztere verleihen ihren jeweiligen „Auftritten“  

All das sind aber „nur“ verschiedene Episoden des rund einstündigen Stücks „Stühlchen Himmelblau“ (Die Pyromantiker, Berlin). Mehr oder minder dreht sich alles um – eben himmelblaue Stühle. Von ziemlich kleinen (kleiner als Kindergartensessel) bis zu fast wuchtigen. Selbst auf einem der kleinsten lassen sich die beiden abwechselnd nieder – und kommen auch locker wieder hoch ;)

Vom Himmel hoch, da komm ich her...

Der erste Sessel schwebt aus dem Himmel. Sobald mehrere da sind, wird darum „gestritten“, welcher wo zu stehen kommt, wer wo Platz nimmt. Köstlich die Szenen, wo beim Einkauf im Möbelhaus die beiden intensiv debattieren, welchen sie den nun nehmen möchten – bei genau gleichen Exemplaren! Oh, wunderbare Konsumwelt ;)

Eine Wand in der Mitte der Bühne wird von der Tafel – auf der mit Schwammgezeichnet wird, womit die Bilder nach und nach verblassen, zum riesigen Flat-Screen, vor dem sich klassisches Mann-Frau-Klischee abspielt oder schlicht zum Teiler zwischen Räumen, wo aus den nicht einsehbaren Stimmen und Geräusche vermitteln, was sich dort abspielt.

Meist wird in einer vernuschelten Kunstsprache agiert, die stets sehr wohl ahnen lässt, was gesagt werden soll, das meiste vermittelt sich über exaktes Schauspiel, Mimik und Gestik.

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Wunderbare Live-Musik

Obwohl nur am Rande der Bühne platziert, kommt dem dritten Akteur eine wichtige Rolle zu. Kraut Hills spielt live Musik – auf einem kleinen Schlagzeug, das um etliche Klang- und Geräuschmaschinen erweitert ist – etwa einen Kasten mit einer Kurbel-Kaffeemühle und anderen verfremdeten Geräten. „Neben“ der Live-Musik hat Hills auch Regie geführt.

Gegen Ende wird ein Spielzeugzebra, das scheinbar achtlos, aber doch stets gut sichtbar auf der Bühne herumsteht auch bespielt, ja sogar „angehimmelt“ Und zum Zug„pferd“ für den Turm aus kleinen und großen Stühlen...

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Infos: Stühlchen Himmelblau

Eine komisch praktische Philosophie zweier Clowns auf engstem Raum
Die Pyromantiker / Deutschland
eine Stunde, ab 5 J.

Regie: Kraut Hills
Spiel: Marlis Hirche, Oliver Dassing
Live-Musik: Kraut Hills
Choreografie: Christine Marneffe
Musik: Martin Krause (Filmorchester Babelsberg)
Dramaturgische Mitarbeit: Bronwyn Tweddle

www.pyromantiker.net

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