Furcht und Faszination: Warum wir die Dunkelheit neu entdecken müssen

Dunkelheit
Die längste Nacht des Jahres erinnert daran, wie wertvoll echte Dunkelheit ist. Ein Gespräch über Lichtverschmutzung und den Wert der Finsternis.

Zusammenfassung

  • Die längste Nacht des Jahres lenkt den Blick auf den Wert echter Dunkelheit und die Folgen von Lichtverschmutzung für Natur, Kultur und Gesundheit.
  • Lichtverschmutzung beeinträchtigt den Sternenhimmel, stört biologische Rhythmen von Menschen, Tieren und Pflanzen und führt zu kulturellem Verlust.
  • Dunkelheit ist ambivalent, beeinflusst Sicherheitsempfinden und gesellschaftliche Teilhabe, besonders für marginalisierte Gruppen.

Die Wintersonnwende am 21. Dezember markiert einen Wendepunkt im Jahreslauf – und die längste Nacht des Jahres. Autorin Lisa-Viktoria Niederberger über ihre Auseinandersetzung mit Dunkelheit, Lichtverschmutzung und ihren Folgen.

KURIER: Was fasziniert Sie an der Dunkelheit? 

Lisa-Viktoria Niederberger: Meine Auseinandersetzung mit der Dunkelheit hat mit dem Gegenteil begonnen – ich war von Lichtverschmutzung betroffen. Rasch habe ich gemerkt, wie viele unterschiedliche Zugänge es dazu gibt: aus den Naturwissenschaften, der Kunst, den Sozialwissenschaften, den Gender Studies. Daraus ist eine große Begeisterung entstanden – die Nacht als Schauplatz von Kurzprosa, die Auseinandersetzung mit dem Tod, eine ästhetische Faszination für kunst- und kulturgeschichtliche Epochen, in denen das Helldunkel ein wichtiges Stilmittel war – etwa im Barock.

Haben Kinder und Erwachsene unterschiedliche Zugänge zur Dunkelheit? 

Die Ambivalenz des Dunklen – dass es gleichzeitig behaglich und bedrohlich, schön und schrecklich sein kann – ist Kindern genauso bewusst wie Erwachsenen. Wir finden dunkle Nächte toll, wenn wir den Sternenhimmel sehen. Dieses Faszinosum kann aber sofort kippen, wenn wir ein Geräusch hören, das wir nicht zuordnen können. Dass Furcht und Faszination parallel existieren können, ist ein zentraler Teil dessen, was Dunkelheit so spannend macht.

Woher kommt die Angst vor der Dunkelheit?

Wir können da nur vermuten. Ich denke, dass Kontrollverlust eine Rolle spielt. Wir verlassen uns im Alltag auf den Sehsinn, nachts sehen wir schlechter, erkennen Gefahren schlechter – durch Tiere, andere Menschen oder die Natur. Mit der künstlichen Beleuchtung hat sich die Nutzung der Nacht stark verändert. Nachtleben und Nachtarbeit sind heute selbstverständlich. Gleichzeitig sind neue Ängste entstanden, etwa im öffentlichen Raum. Angst vor der Dunkelheit muss man daher immer im Zusammenhang mit der tatsächlichen Nachterfahrung sehen.

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Was verlieren wir, wenn es keine echte Nacht mehr gibt?

Vieles. Astronomisch verlieren wir die Möglichkeit, den Himmel zu beobachten. Über Wien ist derzeit nur noch etwa jeder zehnte Stern sichtbar. Wenn das so weitergeht, wird man möglicherweise in ein oder zwei Generationen über der Stadt überhaupt keine Sterne mehr sehen. Biologisch beeinflusst Lichtverschmutzung nahezu alle Arten. Nachtaktive Tiere – von Insekten über Vögel bis zu Säugetieren – werden in ihrem Jagd-, Brut- und Fortpflanzungsverhalten gestört. Insekten sterben millionenfach an Straßenlampen. Etwas, das die Wissenschaft als „Staubsaugereffekt“ bezeichnet. Vögel, die in der Nähe von Laternen nisten, werden früher munter, verlieren Ruhezeiten, sind krankheitsanfälliger. Auch Pflanzen reagieren auf Kunstlicht: Bäume werfen früher ihr Laub ab und werden anfälliger für Krankheiten.

Welche Rolle spielt Dunkelheit für unseren biologischen Rhythmus?

Sie ist wesentlich für den zirkadianen Rhythmus und die Ausschüttung von Melatonin. Wird er langfristig gestört – etwa durch dauerhaftes künstliches Licht oder Schichtarbeit –, steigt das Risiko für Schlafprobleme, psychische Belastungen und Stoffwechsel- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eigentlich wäre der Winter eine Zeit zum Entschleunigen, doch unser Lebensstil konterkariert das, besonders im oft stressintensiven Advent.

Geht mit dem Verschwinden der Dunkelheit auch ein kultureller Verlust einher?

Der Sternenhimmel hat die Menschheit seit Anbeginn begleitet: in Mythen, der Literatur, der Architektur, der Navigation. Viele Bauwerke sind astronomisch ausgerichtet. Der Himmel war über Jahrtausende unser wichtigstes Orientierungsinstrument. Heute kennen viele Kinder den Sternenhimmel nur noch vom Urlaub. Diese Erfahrungswelt geht verloren und mit ihr ein Teil des kulturellen Gedächtnisses.

Welche politische Dimension hat Dunkelheit?

Unsicherheit in der Nacht betrifft Menschen unterschiedlich. Studien zeigen, dass sich Frauen und mehrfach marginalisierte Personen deutlich häufiger fürchten als weiße Männer. Das führt zu Selbstbeschränkung: Wege werden gemieden, Mobilität sinkt und Mobilität ist Macht. Wer über Nacht und Beleuchtung spricht, muss daher auch über Sicherheit sprechen. Die Angst ist ernst zu nehmen.

Buchtipp

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Lisa-Viktoria Niederberger: „Dunkelheit“, Haymon. 23,50 €. Plus Kinderbuch: "Helle Sterne, dunkle Nacht“,  Achse, 23,95 € 

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