Warum Woody Allen in Europa leidet

Woody Allen im Profil, mit verschränkten Armen und Brille.
„Café Society“, Woody Allens neuestes Werk, wird kommenden Mittwoch die Filmfestspiele in Cannes eröffnen. Ein wichtiger Moment für den Autoren-Filmer. Und dennoch bliebe Allen eigentlich lieber daheim in New York. Mit ELISABETH SEREDA sprach der Regisseur, Autor und Schauspieler über Idole, seine Frau und warum Auftritte auf dem roten Teppich alles andere als Erholung für ihn sind.

„Kvetsching“ ist ein jiddischer Begriff für „klagen“. Woody Allen ist der Meister des „kvetschings“, er ist der Ober-Kvetscher und hat das „Kvetsching“ nicht nur zur Kunstform erhoben, sondern es dazu gemacht. Er „kvetscht“ sich durch seine Filme, „bekvetscht“ sein Leben, weiß aber natürlich, dass er absolut keinen Grund zur Klage hat. Das halbleere Glas ist seine Masche, gehört zum Woody-Image wie der verschrumpelte Hut, die runde Brille und der leicht watschelnde Gang. Mit 80 dreht er immer noch einen Film pro Jahr, und heuer sogar noch eine sechsteilige TV-Serie dazu. Ich habe den Autor, Regisseur und Schauspieler seit 1996 zu jedem seiner Filme interviewt, inklusive diesmal waren das 23 Gespräche. Zuletzt an einem verregneten Tag auf der 72nd Street in New Yorks Upper Eastside. Sein neuester Film Café Society wird am kommenden Mitwoch, dem 11. Mai, das Cannes-Festival eröffnen.

LsmwF3xUWHM

Woody liebt Cannes, und Cannes liebt Woody. Die Franzosen verehren ihn seit mehr als 50 Jahren, als wäre er einer von ihnen. Dabei setzte er Jahrzehnte lang keinen Fuß auf französischen oder sonst irgendeinen Boden außerhalb der New Yorker Stadtgrenze. Erst seit seiner Hochzeit mit Soon-Yi 1997 wurde er zum Weltreisenden und dreht seither auch Filme außerhalb des Big Apple. Seine echten oder eingebildeten Phobien verhinderten vorher, dass er in ein Flugzeug stieg.

Auch heute spürt man den inneren Widerstand: „Wir hören, Sie werden zur Premiere nach Cannes fliegen?“ Er kvetscht: „Meine Frau mag das. Ich bin nur Mittel zum Zweck, zu ihrem Zweck. Sie liebt Südfrankreich und trifft sich dort mit Freunden. Ich steige aus dem Flieger, mache stundenlang Interviews, jeden Tag, und dann gehe ich den roten Teppich bei der Premiere runter wie ein Zombie, mit Fotografen, die mich anbrüllen: Schau hierher! Schau dorthin! Dann mache ich noch mehr Interviews, und dann schieben sie mich in den Flieger nach Hause. Ich liebe Südfrankreich auch, aber für mich ist das kein Urlaub. Aber meine Frau liebt das Reisen, und ich liebe es zu tun, was sie sagt.“ – „Und worum geht es in Café Society? Sie halten das wieder mal sehr geheim.“ – „Na, was kann ich Ihnen sagen? Der Film spielt in den 1930er-Jahren. Es ist ein sehr romantischer Film, und sowas wollte ich machen. Ich wollte einen Roman drehen. Der Film ist wirklich wie ein Buch. Jesse Eisenberg spielt die Hauptrolle, Steve Carell kommt vor, und Blake Lively und Kristen Stewart. Mehr kann ich nicht sagen, ich hoffe, Sie mögen den Film. Sie kennen mich, ich sage nie, dass ein Film gut ist. Sie mögen ihn oder nicht. Ich habe ihn gemacht, aber ich kann nichts über die Qualität sagen. Ich bin ja immer enttäuscht. Bei allem, was ich tue. Ich denke immer, ich hätte es besser machen können.“

Bild unten: Woody Allen im Interview mit Elisabeth Sereda

Woody Allen wird von Reportern vor einem Gebäude interviewt.
HFPA

Soon-Yi bringt ihren Ehemann Woody Allen also nach Europa, aber den Heimatkontinent der Koreanerin hat Allen nie besucht: „Sie quält mich seit Jahren, dass ich mit ihr in den Fernen Osten soll, nach Korea, Japan, China, und ich stepptanze mich da raus, weil ich diese langen Flüge so hasse. Ich bin kein neugieriger Mensch, mir sind ferne Länder wurscht, ich bin sehr glücklich in meinen vier Wänden, meine Ausflüge beschränken sich auf ein paar Häuserblocks hier in Manhattan. Aber mir ist durchaus klar, dass ich ihr irgendwann nicht mehr auskomme.“

Man kann mit Woody über alles reden, was manchmal zu höchst seltsamen Konversationen führt. Wie etwa über seine Idole. Ein Treffen mit seinem allergrößten musikalischen Idol, Louis Armstrong, lehnte er aus Angst vor Enttäuschung ab: „Mein ganzes Leben lang habe ich es vermieden, meine Idole zu treffen. Denn vor Jahren lernte ich Groucho Marx kennen, den ich so sehr verehrte. Aber in Wirklichkeit war er genau wie die klugscheißenden Onkel in meiner Familie, die man bei Hochzeiten und Bar Mitzvahs trifft! Da habe ich lieber ein aufgeblasenes Image von meinen Idolen. Ich will gar nicht wissen, dass sie im richtigen Leben existieren. Dass sie hungrig und gelangweilt und angefressen sind und Kopfweh haben.“ Kvetsching, kvetsching, kvetsching.

Und trotzdem lieben alle Woody (mit Ausnahme seiner Ex-Frau Mia Farrow, aber das ist ein Tabuthema). Die Produzenten, weil er unheimlich preisgünstige Filme macht, denn er dreht schneller als alle Kollegen. Und die Schauspieler, die Verträge unterschreiben ohne das Drehbuch gelesen zu haben. Selbst die größten Stars arbeiten für eine Handvoll Dollar. Die Gründe sind simpel: „Woody probt gern, aber er ist nicht mit seinen eigenen Worten verheiratet.“ meinte anno dazumal schon Julia Roberts, als sie Everyone Says I Love You mit ihm drehte. „Er fordert einen sogar dazu auf, seine Dialoge zu verändern“, stimmte Scarlett Johansson zu: „Dabei hat man als Schauspieler vor jemandem wie Allen viel zu großen Respekt. Aber er hat als Drehbuchautor wirklich kein Ego.“

Colin Farrell lobte das Timing: „Woody hat die besten Arbeitszeiten: neun bis fünf. Er will ein Leben haben, und ermöglicht uns dadurch dasselbe. Von harter Arbeit kann bei ihm wirklich nicht die Rede sein.“ Ewan McGregor schätzte die Tageseinteilung ebenso: „Er hat begriffen, dass Familie wichtiger ist als dieselbe Szene 20-mal zu wiederholen. Weil sie dadurch ohnehin nicht besser wird.“

Woody Allen selbst zieht das Regieführen vor: „Schauspielen ist harte Arbeit, aber mein schlimmster Job war, als mich Jeffrey Katzenberg dazu überredete, eine Stimme im Zeichentrickfilm Antz zu sein. Ich war nach dem ersten Tag heiser. Es war fürchterlich!“ regt er sich auf. „Allerdings erinnerte ich mich, dass es nicht so schlimm ist, eine Ameise zu spielen. In Was Sie immer schon über Sex wissen wollten war ich eine Spermie!“
Manchmal hat man das Gefühl, Allen weiß gar nicht, wie witzig er ist. Er kokettiert mit Pessimismus und hypochondrischen Phobien und serviert das Ganze mit mehr als einer Prise jüdischem Humor. Ihm selbst dabei ein Lächeln zu entlocken gelingt fast nie. Er sieht sein Leben als eine „Serie aus tragischen Ereignissen“ und meint: „Wenn ich meine Karriere in drei Worten zusammenfassen müsste, würde ich sagen: Tragödie, Tragödie, Komödie.“ Warum? „Weil es kein Leben nach dem Tod gibt. Das ist alles Unsinn. Ingmar Bergman hat wunderbare Filme gemacht. Und was hat er jetzt davon? Nichts. Weil er tot ist, fertig, aus, basta. Und mir wird dasselbe passieren. Ich habe nichts von meinen Werken. Wir gehen alle auf den großen Untergang zu. Beethoven hat nichts davon, Shakespeare hat nichts davon.“ Wobei der umtriebige 80-Jährige – und Vater von zwei Teenagern – nicht vorhat, demnächst den Löffel abzugeben: „Meine Eltern wurden respektable 96 und 98! Ich habe gute Gene.“ Und bis dahin liebt er Soon-Yi, die Töchter Bechet und Manzie und spielt Klarinette in seiner Band, mit der er jeden Montag im Carlisle Hotel auftritt. Und er kvetscht sich durch den Rest des Lebens und zu unser aller Amüsment durch seine Filme.

Woody Allen mag selbst selten die Miene verziehen, uns unterhält der Mann, der den Spruch prägte „Sex ist wie Bridge spielen, wenn du keinen guten Partner hast, hast du besser eine gute Hand“ glänzend.

Kommentare