Wahlverwandtschaft

Die Heiratspolitik der österreichischen Habsburger hatte im Spätmittelalter dazu geführt, dass das „Haus Österreich“ zur mächtigsten Dynastie Mitteleuropas aufgestiegen war. Basis bildeten komplizierte Heirats- und Erbverträge der christlichen Staaten – die routinemäßig gebrochen oder routiniert gefälscht wurden. Höhepunkt: Kaiser Maximilians Sohn Philipp („Der Schöne“) heiratete die Spanierin Johanna („Die Wahnsinnige“). Dieser Verbindung entsprangen sechs Kinder, der Ehe Ferdinands I. sogar 15, jener der Cousine Maria 16. Es gab also immer mehr und mehr Versorgungsfälle; es glich einem Wunder, dass diese Familie über Generationen die Weltherrschaft hielt. Die goldgierigen Habsburger eroberten nicht nur die Karibik unter dem Doppeladler, sondern zivilisierten auch Kalifornien und in Ostasien die Philippinen (nach König Philipp II., was wenig bekannt ist).
Tatsache ist, dass die Habsburger – und zwar die österreichischen wie spanischen – von aller Welt beneidet und gefürchtet wurden; militärisch gab es auch kaum ein Jahr im 17. Jh., in dem die spanischen oder österreichischen Habsburger nicht irgendwo Krieg führten – gegen Engländer, Holländer, Italiener und Türken … und dreißig Kriegsjahre gegen die deutschen Protestanten. Und Frankreich? Dort hatte sich die königliche Familie der Bourbonen durchgesetzt und ein absolutistisches und zentralistisches Staatskonzept verwirklicht. Frankreichs größter König Ludwig XIV. hatte die Bedeutung des sogenannten Merkantilismus begriffen, und Paris wurde zum europäischen Kulturzentrum, während Madrid und leider auch Wien zurückblieben. Ein neuer Lebensstil wurde von Frankreich geprägt, in und um Paris entstanden prachtvolle Barockschlösser, schöne Damen liebten mutige Musketiere … und über allem hieß es: L’État, c’est moi!
Bei den österreichischen und spanischen Habsburgern hingegen lief ab dem 17. Jh. alles abwärts. Fromm, ja bigott und familienbezogen (wenngleich kunstsinnig), glaubten sie der Grandezza am besten dienen zu können, wenn sie dem Spanischen Hofzeremoniell konsequent folgten – sogar im Familienkreis. Noch im 20. Jh. beschrieb das Opfer von Sarajewo – Erzherzog Franz Ferdinand – die Familien-Skurrilität: „Bei uns sind immer Mann und Frau 20-mal miteinander verwandt. Das Resultat ist, dass von den Kindern die Hälfte Trottel und Epileptiker sind“. Jedenfalls haben die grandiosen spanischen Maler-Genies wie Velázquez und De Miranda den Verfall der Habsburger grandios festgehalten. So landeten die meisten Familienbilder im Wiener Kunsthistorischen Museum, weil die Madrider Verwandten den ach so hübschen Nachwuchs herzeigen wollten, der jeweils unter die Haube kommen würde. In Wahrheit wartete jedoch alle Welt, wie lange sich die Habsburger in Spanien halten könnten.
Kluge Ratgeber schlugen vor, man möge die Habsburger mit den Bourbonen verbandeln – im Ehebett. Um derlei zu vereinbaren, wurde ein wichtiges historisches Königstreffen auf der Fasaneninsel des Flusses Bidasoa mitten in den Pyrenäen vereinbart. Und dort regelte man die Nachfolge zwischen Habsburg und Bourbon – indem der spanische König Philip IV. seine jüngste Tochter dem Sonnenkönig Ludwig zur Frau gab. Europa war kurzzeitig hoffnungsfroh.
Verbandeln mit Hintersinn: König Ludwig XIV. (l.) mit König Philip IV. von Spanien, der dem Sonnenkönig seine Jüngste zur Frau gab
Aber der letzte regierende spanische König Karl II. starb kinderlos im Jahre 1700. Alle Mächte stürzten sich auf die iberischen Reichtümer, Frankreich voran. Die Verwandten in Wien mobilisierten, London kommandierte. Ein rücksichtsloser europäischer Krieg brach aus: der spanische Erbfolgekrieg. Prinz Eugen spielte darin noch eine wichtige Rolle, Kaiser Karl VI. versuchte von Wien aus schließlich einen Alleingang, indem er die ihm treu ergebenen Katalanen Nordspaniens in Barcelona sammelte. Am 31. Juli 1714 – also vor exakt 300 Jahren – kapitulierte die Stadt, die verbliebenen Österreicher flohen in die Heimat. Im Frieden von Rastatt erhielten die Wiener Habsburger aber immerhin als Entschädigung für ihren Verlust des spanischen Königsthrons ein großes Stück vom italienischen Länderkuchen: Mailand, Mantua, Neapel … sowie auch noch deutsche Vorlande rund um den Bodensee. In Wien litt man dennoch sehr unter dem Verlust Spaniens; Kaiser Karl VI. ließ neue Wappen in der Hofburg montieren, sie sollten den Anspruch Österreichs dokumentieren und sind dort noch zu finden. Und Karls Tochter – die große Maria Theresia – hielt sich für eine „Perfecta Española“, betrieb aber ansonsten Realpolitik. Sie verheiratete ihren ältesten Sohn Josef und den zweitältesten Leopold mit Bourbonenprinzessinnen. Deren Kinder waren also halbe Bourbonen – bis hin zum steirischen Bergkraxler Erzherzog Johann. Und dann war da noch die unglückliche Königin Marie Antoinette aus Wien, die trotz – oder wegen – ihrer Bourbonen-Verwandtschaft 1793 unter der Guillotine der französischen Revolutionäre starb. Während seither die Republiken in Europa emporwuchsen, hielt sich das königliche Spanien von Weltkriegen und dem Kalten Krieg fern. Und jetzt, in der rauen Gegenwart? Da blieb das alte Problem nach drei Jahrhunderten Habsburg in Nordspanien lebendig. Die Nordspanier – in Erinnerung an die Zeit der „Casa de Austria“ – wollen eine autonome Kulturnation bilden – sich vom „bourbonischen“ Madrid nichts anschaffen lassen. Weshalb auf den neuen König Felipe und seine Infantinnen Leonore und Sofia politische Versöhnungsarbeit wartet.
Kommentare